Merkel lässt Datenaffäre vom Tisch nehmen

File picture shows the main entrance of Germany's intelligence agency Bundesnachrichtendienst (BND) headquarters in Pullach
File picture shows the main entrance of Germany's intelligence agency Bundesnachrichtendienst (BND) headquarters in PullachREUTERS
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Kanzleramtschef Pofalla erklärt alle Vorwürfe für widerlegt. Doch die schriftlichen Zusicherungen der Amerikaner und Briten sowie das geplante „No Spy“-Abkommen schaffen die Zweifel nicht aus der Welt.

Berlin. Es sollte der große Befreiungsschlag werden: Die Vorwürfe gegen die deutsche Regierung in der US-Datenaffäre seien „vom Tisch“, verkündete Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) am Montagabend triumphierend. Der Auslandsgeheimdienst BND habe den US-Kollegen doch nur Daten von Ausländern übermittelt.

Die „fälschliche“ Behauptung, die USA und Großbritannien griffen millionenfach auf Kommunikationsdaten deutscher Bürger zu, sei durch Zusicherungen aus beiden Ländern widerlegt. Für die Zukunft soll ein „No Spy“-Abkommen gegenseitige Ausspähung verhindern. Alles wieder gut? Einen Schönheitsfehler hatte der Auftritt: Fragen wurden keine zugelassen. Und davon gibt es weiterhin genug.

1 Welchen Wert haben die schriftlichen Erklärungen aus den USA und Großbritannien?

Die Schreiben wurde vom NSA-Chef und vom britischen Außenminister autorisiert. Im strengen Sinn bewiesen ist damit nichts: Die mächtigen Geheimdienste sagen eher die Unwahrheit, als dass sie ihre Methoden preisgeben, und Politiker wissen darüber kaum Bescheid. Könnte aber jemand nachweisen, dass sie hochoffiziell lügen, wäre das transatlantische Verhältnis massiv beschädigt. Dieses Risiko macht die Zusicherung glaubwürdiger.

Allerdings heißt es dort nur, dass sich die Auslandsgeheimdienste in Deutschland an Recht und Gesetz halten. Das schließt nicht aus, dass Daten deutscher Bürger, die über US-Server etwa von Google und Facebook laufen, abgeschöpft werden. Der wesentliche Wert der Schreiben ist ein politischer: Sie nehmen der deutschen Opposition Wind aus den Segeln. Denn mehr konnte Kanzlerin Merkel kaum erreichen.

2 Was ist nun mit den Vorwürfen, die Edward Snowden erhoben hat?

Nach den internen NSA-Dokumenten, die der Whistleblower Edward Snowden dem „Guardian“ und dem „Spiegel“ zugespielt hatte, sammelte die NSA allein im Dezember 2012 eine halbe Milliarde Metadaten der Telefon- und Internetkommunikation deutscher Bürger. Dafür gibt es keine andere Quelle. Möglicherweise sind die Dokumente echt, wurden aber falsch interpretiert – weil etwa der „Zugriff“ nur eine theoretische, nicht praktizierte Möglichkeit ist. Snowden müsste nun also neue Beweise nachliefern.

3 Kann man dem BND glauben, dass er nur Daten von Ausländern übermittelt hat?

Der deutsche Geheimdienst liefert der NSA angeblich nur Daten von Ausländern in politischen Krisengebieten, vor allem von Afghanen. Das erscheint plausibel. Denn eine solche Kooperation vereinbarte schon Pofallas Vorgänger Frank-Walter Steinmeier (SPD) nach den Anschlägen von 9/11. Zudem könnten sich BND und Kanzleramt eine Täuschung der hoch sensibilisierten deutschen Öffentlichkeit kaum erlauben.

4 Wie problematisch ist die Übermittlung der Daten an die USA – Stichwort Drohnen?

Niemand kritisiert, wenn der Austausch von Daten das Leben von Soldaten in Afghanistan schützt. 19 Anschläge auf die Bundeswehr konnten so laut Pofalla seit 2011 verhindert werden; die US-Seite spricht von drei bis vier abgewehrten Anschlägen pro Woche. Aber wenn US-Agenten Islamisten durch Handydaten lokalisieren, planen sie oft auch deren Tötung durch Drohnen – eine moralisch hoch umstrittene Methode der Kriegsführung gegen den Terror. GSM-Mobilfunkdaten seien für eine Zielerfassung zu ungenau, erklärt zwar der BND. Aber selbst wer nur eine Telefonnummer ohne Ortsangabe weitergibt, könnte damit ungewollt helfen, einen Drohnenangriff vorzubereiten.

5 Was sind die politischen Folgen von Pofallas „Befreiungsschlag“?

Das geplante Anti-Spionage-Abkommen könnte die Wogen zwischen Berlin und Washington glätten – vor allem dann, wenn es nicht nur die Geheimdienste beschließen, sondern auch die Regierungen. Auch die deutsche Opposition hat die Lautstärke ihrer Kritik gedämpft: Einiges sei nun klargestellt, aber manches weiter offen. In einem Punkt herrscht Einigkeit in allen politischen Lagern: Der Bundestag soll den Geheimdienst BND künftig besser kontrollieren können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2013)

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