Die Ohnmacht des Westens gegenüber den Petrodollar

Ohnmacht Westens gegenueber Petrodollar
Ohnmacht Westens gegenueber Petrodollar(c) EPA (TOLGA BOZOGLU)
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Krisendiplomatie. Vergeblich haben die USA und Europa versucht, das sich abzeichnende Blutbad abzuwenden.

Kairo. Noch nie zuvor wirkte Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle nach einem Besuch in Kairo so verzweifelt. Ägypten liegt ihm am Herzen, er kennt es gut, hat hier schon oft seine Ferien verbracht. Und so war der deutsche Außenminister vor drei Wochen als erster europäischer Minister an den Nil geeilt, nach der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton und gefolgt vom US-Vizeaußenminister William Burns. Ihn und die beiden anderen westlichen Spitzengesandten verband ein Hauptziel: die neue Führung Ägyptens im Machtkampf mit den Muslimbrüdern von Gewaltanwendung abzubringen – angefangen vom starken Mann, General Abdel Fattah al-Sisi, über Interimspräsident Adly Mansour, seinen Vize Mohammed ElBaradei bis zu Übergangspremier Hazem el-Beblawi.

Doch schon nach den ersten Gesprächsrunden war es dem deutschen Besucher offenbar klar – in Kairo hörte man die ausländischen Diplomaten bestenfalls noch höflich an, doch der Fahrplan für die blutige Abrechnung mit den Islamisten lag längst fertig in der Schublade. Ernsthafte Verhandlungen mit der Führung der Muslimbrüder, die im Gefängnis sitzen oder per Haftbefehl gesucht werden, wurden gar nicht erst versucht. Stattdessen legte General al-Sisi mit seinem Appell an die Bevölkerung, ihm ein Mandat gegen den „Terrorismus“ zu geben, das Fundament für einen apokalyptischen Endkampf ganz eigener Sorte.

Golfstaaten sprangen finanziell ein

In einem solchen Szenario aber, das musste auch Westerwelle erkennen, stören ausländische Warner nur. Und trotzdem war er an den Nil gereist, wohl auch, um sich nicht hinterher vorwerfen lassen zu müssen, er habe nicht alles versucht, die heraufziehende Katastrophe eines ägyptischen Bürgerkriegs zu verhindern.

Eine Woche später gingen in Kairo dann endgültig die Tore herunter. Die Phase der Diplomatie sei vorbei, dekretierte das Präsidentenamt. Ägypten habe sowieso schon ein Übermaß an ausländischer Einmischung ertragen. Damit aber war der Weg planiert für Armee, Polizei, Geheimdienst und die alte Mubarak-Garde, um die Muslimbruderschaft nun ein für allemal aus der politischen Landschaft Ägyptens zu verbannen. Gleichzeitig bekam der Westen, allen voran die Vereinigten Staaten, erstmals mit voller Wucht seine neue Ohnmacht im Nahen und Mittleren Osten zu spüren.

Denn die US-Militärhilfe von 1,3 Milliarden Dollar im Jahr verblasst gegenüber den zehnfach höheren Summen, die die reichen Golfstaaten unter Führung von Saudiarabien innerhalb von Tagen nach dem Putsch zur ägyptischen Zentralbank verschoben. China ist längst der wichtigste Handelspartner Ägyptens. Peking aber stellt keine lästigen Fragen zu Menschenrechten, Folterpraxis in Gefängnissen und Missbrauch der Justiz. Selbst Russland, wegen seiner Unterstützung von Syriens Diktator Bashar al-Assad in der arabischen Öffentlichkeit verfemt, findet plötzlich neue Sympathie.

John Kerrys Kehrtwende

General al-Sisi wird angehimmelt wie ein Wiedergänger von Gamal Abdel Nasser, dem einstigen Idol der arabischen Straße. Damals, in den 1950er-Jahren, so erinnern sich jetzt viele, sprang nach der Absage Washingtons der Kreml bei der Milliardenfinanzierung des riesigen Assuan-Staudamms ein.

Entsprechend ratlos und frustriert klingen die westlichen Appelle nach dem dritten und bisher schwersten Massaker der Sicherheitskräfte an den Muslimbrüdern. Deutschland, Frankreich, Großbritannien und auch Österreich bestellten die ägyptischen Botschafter ein. Die EU-Außenminister wollen jedoch erst nächste Woche über das Thema zu Rate sitzen. US-Außenminister John Kerry, der vor zwei Wochen noch das Eingreifen der Generäle als einen Schritt „zur Wiederherstellung der Demokratie“ qualifiziert hatte, sprach von „widerlichen Vorgängen, die die Wünsche der Ägypter nach Frieden und wirklicher Demokratie unterlaufen“. Dann aber wiederholte er das Mantra aller westlichen Kollegen, die Führung in Kairo müsse eine Lösung suchen, die alle politischen Lager miteinbeziehe. Und während ein Sprecher des Präsidenten ein Statement verlas, vertrieb sich der urlaubende Barack Obama dem Vernehmen nach die Zeit mit Golfspielen.

Doch die große Mehrheit in Kairos Machtzirkeln denkt gar nicht daran. Sie gibt sich dem Chauvinismus hin und sehnt sich zurück nach dem alten Polizeistaat unter Mubarak, dessen Sicherheitsstrukturen ja, wie die Regierung nun erklärte, wieder hergestellt werden sollen. Ihre nützlichen Handlanger aus der Jugend- und Demokratiebewegung haben die Militärmachthaber nach sechs Wochen bereits ins Aus befördert. Deren einziger Vorzeigerepräsentant im Interimskabinett, der Minister für Übergangsgerechtigkeit, hat bereits mehrfach mit seinem Rücktritt gedroht, weil er sich in der Regierung komplett ignoriert fühlt.

Gravierende Folgen für die ganze Region

Auch in den Provinzen läuft inzwischen das Rollback. Alle 27 noch von Präsident Mursi ernannten Gouverneure wurden abgesetzt und 19 Generäle zu den neuen Provinzchefs ernannt. Manche von ihnen haben noch nie ein solches politisches Amt innegehabt. Als der abgesetzte Mursi im Mai elf der 27 Gouverneurssitze mit Muslimbrüdern besetzte, ging ein Aufschrei der Empörung durch die Oppositionskreise des Landes. Das neue Machtmonopol der Armee dagegen quittieren dieselben politischen Kräfte nun mit Schweigen.

Noch sei es verfrüht, die Ereignisse in Ägypten als das Ende des Arabischen Frühlings zu interpretieren, zitiert die „New York Times“ die Nahost-Expertin Mona Yacoubian vom Stimson Center, einem Thinktank in Washington. Momentan aber sei es schwer, auch nur einen Funken Optimismus zu entdecken. „Ich glaube, wir gehen auf eine Phase extremer Turbulenzen zu“, sagte sie. „Wenn aber Ägypten in großflächige Instabilität, Chaos und Bürgerkrieg abgleitet, dann werden auch für die anderen arabischen Länder die Folgen enorm sein.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.08.2013)

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