"Es findet eine Treibjagd auf uns Demokraten statt"

findet eine Treibjagd Demokraten
findet eine Treibjagd Demokraten(c) EPA (KHALED ELFIQI)
  • Drucken

Amr Hamzawy ist einer der wenigen Liberalen, der für einen Kompromiss mit den Moslembrüdern wirbt. Er riskiert viel.

Internationale Vermittlungsbemühungen sind gescheitert. Wie realistisch sind die Chancen, den Absturz Ägyptens in Chaos und Gewalt noch abzuwenden?

Amr Hamzawy: Ägypten droht in einer Spirale von Gewalt und Gegengewalt zu versinken. Die Absetzung des gewählten Präsidenten durch die Armee im Kontext einer Massenmobilisierung hat die Muslimbrüder in eine politisch aussichtslose Lage gebracht. In einer solchen Lage nimmt die Gewaltbereitschaft zu.

Gleichzeitig sind die Kräfte, die die Entmachtung der Muslimbruderschaft unterstützt haben, wenig bemüht, die Situation zu entspannen. Zu ihnen gehört die alte Mubarak-Garde, die nach wie vor im Verwaltungsapparat und in den Sicherheitsorganen verankert und mit Teilen der Wirtschaftselite verbündet ist. Diese Leute wollen das alte System zurückhaben und die Muslimbrüder aus der Politik verbannen. Und sie tut alles, um auch die demokratischen Kräfte auszuschließen.

Wie müssten Eckpunkte eines Kompromisses aussehen, damit er tatsächlich auch die Muslimbrüder wieder an den Tisch der nationalen Politik zurückbringt?

Alle Menschenrechtsverletzungen nach dem 30. Juni müssen untersucht und aufgeklärt werden. Das Gleiche gilt für Gewalttaten, in die die Muslimbrüder verwickelt sind. Ägypten braucht ein System von „Transitional Justice“, von einer Übergangsjustiz, damit alle Verantwortlichen für Despotismus, Korruption, Gewaltanwendung und Menschenrechtsverletzungen von 1981 und bis heute tatsächlich zur Verantwortung gezogen werden. Die so genannte Roadmap für die Verfassungsänderungen und Neuwahlen, die die Armee dekretiert hat, muss durch ein Volksreferendum legitimiert werden. Auch darf Religion künftig nicht mehr unter demokratischen Vorzeichen für politische Zwecke eingesetzt werden. Wir brauchen eine Trennung zwischen religiösen Bewegungen und Parteien. Die Muslimbruderschaft sollte sich neu formieren als NGO, die jenseits der Politik steht. Und die Partei der Muslimbrüder sollte sich als davon unabhängige politische Kraft etablieren.

Sie haben öffentlich beklagt, in Ägypten herrsche nach der Absetzung von Präsident Mursi ein Klima von Häme und Hass gegen die Muslimbrüder. Wie erklären sie sich diese extrem verhetzte Stimmung?

Die Muslimbrüder haben zahlreiche kapitale Fehler gemacht, unter anderem die despotische Verfassungserklärung vom November 2012 und das Durchpeitschen der Verfassung ohne nationalen Konsens. Zudem haben sie sich mit den Medien und der Wirtschaftselite angelegt. Das erklärt zum Teil die extrem aggressive Stimmung. Zum anderen hat die alte Mubarak-Garde, die das Spiel mit faschistoiden Strategien und Mitteln beherrscht, ein vitales Interesse daran, die Muslimbrüder auszuschalten. Ihre Vertreter schüren irrationale Gefühle der Vergeltung und der kollektiven Rache. Als Komplizen agieren dabei auch rechte und linke Parteien, die das Militär unterstützen, weil sie kein politisches Rezept für den Umgang mit den Muslimbrüdern haben. Sie haben das liberale und sozialistische Gedankengut in Ägypten in eine tiefe Glaubwürdigkeitskrise gestürzt.

Wie mächtig sind in den Reihen der neuen Machthaber die Hardliner des alten Mubarak-Regimes?

Als liberaler Politiker, der sich öffentlich gegen das Eingreifen der Armee in die Politik ausgesprochen hat, bin ich zum Ziel einer bösartigen Hetzkampagne geworden. Die alte Garde diffamiert mich als verkappten Muslimbruder. Sie behaupten, ich nähme an konspirativen Treffen der Muslimbruderschaft teil, was alles komplett aus der Luft gegriffen ist. Es findet eine regelrechte Treibjagd statt auf uns Demokraten, nur weil wir gegen Menschenrechtsverletzungen protestieren und auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie pochen.

Was können Sie und Ihre Mitstreiter diesen Kampagnen der alten Garde politisch entgegensetzen?

Wir müssen neue Wege suchen, die Polarisierung zwischen dem islamischen und säkularen Lager zu überbrücken, eine Zuspitzung, die wir alle mit zu verantworten haben. Ich suche zusammen mit anderen Liberalen nach neuen Kooperationen mit demokratischen Kräften im religiös-konservativen Spektrum, in den demokratischen Protestbewegungen wie „6. April“ und in den unabhängigen Gewerkschaften. Wir müssen alles Erdenkliche versuchen, um einen Ausweg aus der jetzigen Krise zu finden.

Steckbrief

Amr Hamzawy (45) ist Professor für Politikwissenschaft
an der Universität Kairo und an der Amerikanischen Universität.
Bei den Parlamentswahlen, die Mitte
2012 annulliert wurden, wurde er als einziger Liberaler bereits im ersten Wahlgang in die Volksvertretung Ägyptens gewählt.
Er ist Vorsitzender der Partei Freiheitliches Ägypten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Al-Hafez schürte den Hass auf Kopten.
Medien

Ägypten: Verbot für fünf TV-Sender

Ein Verwaltungsgericht hat die Schließung von fünf TV-Sendern angeordnet, darunter auch den ägyptischen Ableger von Al-Jazeera.
aegypten Prozess gegen Mursi
Außenpolitik

Ägypten: Prozess gegen Mursi angekündigt

Der abgesetzte Präsident soll für den Tod von Demonstranten verantwortlich sein. Der Übergangs-Präsident arbeitet derweil an einer neuen Verfassung.
Members of the Muslim Brotherhood and supporters of ousted Egyptian President  Mursi make the 'Rabaa' gesture during a protest in Cairo
Außenpolitik

Ägypten: Zusammenstöße nach dem Freitagsgebet

Am "Freitag der Entschlossenheit" gerieten Islamisten mit ihren Gegnern und mit Sicherheitskräften aneinander. Es gab Berichte über mehrere Todesopfer.
EGYPT UNREST
Außenpolitik

Ägyptens geschwächte Muslimbrüder setzen ihre Proteste fort

In Beni Sueif schossen Unbekannte vor Beginn der Proteste auf eine Kaserne der Sicherheitskräfte. Mindestens zwei Menschen starben am „Freitag der Entschlossenheit“.
EGYPT PROTEST
Außenpolitik

Unter „Liberalen“ wachsen Zweifel an Ägyptens Armee

Die Freilassung von Ex-Diktator Mubarak und die Anklage gegen ElBaradei lassen manche Säkulare im Applaus für den Putsch innehalten. Doch immer noch befürworten sieben von zehn Ägyptern die Gewalt gegen Muslimbrüder.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.