„Die Friedensgespräche sind Zeitverschwendung“

Interview. Ghazi Hamad, Vizeaußenminister der Hamas-Regierung in Gaza, über die neuen Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern und die Blockade des Gazastreifens durch Ägyptens Militärregierung.

Die Presse: Herr Minister, meistens wird Israel dafür verantwortlich gemacht, dass Gaza im Grunde ein riesiges Freiluftgefängnis ist. Tatsächlich sind nun aber die Ägypter viel gründlicher dabei, den Gazastreifen vom Rest der Welt zu isolieren. Sie sprengen die Schmugglertunnels und schließen die Grenzen. Wie erklären Sie das?

Ghazi Hamad: Wir glauben, dass es einige Leute in Ägypten gibt, die alle Verantwortung für die Spannungen uns zuschieben wollen. Sie versuchen, Gaza in die Ecke zu drängen. Die Situation in Gaza ist im Moment sehr schwer, politisch und wirtschaftlich. Wir suchen nach einem Weg, um die Spannung zu reduzieren. Dazu müssten wir aber erst verstehen, was die in Ägypten überhaupt von uns wollen. Dauernd gibt es neue Anschuldigungen ohne die geringsten Beweise.


Wie etwa für den Polizistenmord auf der Sinai-Halbinsel vor vier Wochen?

Das auch, einfach alles. Einmal heißt es, die Hamas hätte Soldaten entführt, die Hamas schütze (den gestürzten ägyptischen Präsidenten, Anm.) Mohammad Mursi oder die Hamas bilde Muslimbrüder im Kampf aus. Kurz: Die Hamas sei verantwortlich für 90Millionen Ägypter, dabei haben wir bis heute nicht einmal einen halben Beweis.

Was macht Sie so sicher, dass nicht doch Hamas-Aktivisten hinter dem einen oder anderen Gewaltakt stecken?

Wir als Palästinenser, als Hamas und als Regierung erklären, dass wir uns in Ägyptens Entwicklungen nicht einmischen. Wir haben nie auch nur einem ägyptischen Polizisten ein Haar gekrümmt. Uns liegt sehr viel daran, dass die Grenzregion ruhig bleibt. Es gibt permanent Absprachen. Gleichzeitig erwarten wir von Ägypten, mit den Vorwürfen gegen uns aufzuhören, zudem sollten die Grenzen aufgemacht werden. Es kann nicht sein, dass die Leute hier in diesem riesigen Gefängnis leiden. Über 10.000 Palästinenser warten auf ihre Ausreisegenehmigung. Sie wollen Verwandte besuchen oder müssen geschäftlich ins Ausland. Wir sind hier wie Hühner im Käfig.

Welche Motive haben die Leute, von denen Sie sagen, sie verbreiteten Lügen über die Hamas?

Das fragen wir uns auch. Warum müssen wir den Preis bezahlen? Hier wurden Hamas-Leute verhaftet, im Sinai sind Leute getötet worden, die der Hamas nahestanden. Das Problem ist, dass sich der Kampf gegen die Muslimbrüder richtet, und die Hamas wird als ein Teil davon betrachtet. Aber das ist Unsinn! Die Hamas ist immer strikt neutral geblieben und hat nie die eine oder andere Seite unterstützt.


Dann würden Sie abstreiten, dass die Hamas lieber Mursi an der Regierung sähe, während die Fatah wohl Armeechef Abdel Fattah al-Sisi bevorzugt?

Die Frage kann ich nicht beantworten. Ich sage, dass wir den Willen der Ägypter respektieren. Der Präsident wird demokratisch gewählt? Wir respektieren das.

Auch wenn sein Ende nicht ganz so demokratisch war?

Dazu will ich nichts sagen.

Ging es der Hamas und Gaza nicht besser, als Mursi im Amt war?

Unter Mursi waren die Grenzen offen. Wir hatten direkte Kontakte zum Präsidenten, zu seiner Regierung und den ägyptischen Parteien. Und heute? Es ist sehr schwierig.

Die Regierung in Kairo war Vermittler zwischen Hamas und Fatah. Bewegt sich heute ohne ägyptisches Zutun noch etwas auf dem Weg zur nationalen Einheitsregierung?

Der Prozess liegt derzeit auf Eis.


Seit der letzten Konfrontation mit Israel Ende 2012 gibt es kaum noch Raketenbeschuss aus Gaza. Verfolgt die Hamas eine neue Strategie?

Es ist kein Geheimnis, dass wir die Waffenruhe respektieren. Es ist in unserem Interesse, die Situation vorläufig ruhig zu halten, um den Druck auf die Leute in Gaza nicht zusätzlich zu erhöhen. Das ist eine taktische Richtungsänderungen.

Wie lange ist diese Taktik sinnvoll?

Das lässt sich nicht voraussagen. Ziel ist, die Besatzung zu beenden, dafür nutzen wir mehrere Mittel. Wir Palästinenser wollen Unabhängigkeit, Freiheit und einen Staat. Wir wollen unser Land.

Wie definieren Sie dieses Land?

Ich rede von einem Staat in den Grenzen von 1967.


Denken Sie, die aktuellen Friedensgespräche bringen die Palästinenser dem Ziel näher?

Gespräche sind Zeitverschwendung. Israel will keine Siedlungen räumen, sie sagen zur Grenze von 1967 Nein. Wir trauen den Israelis nicht und denken, dass Präsident Abbas einen Fehler machte, als er Verhandlungen zustimmte. Er verbrachte 20 Jahre damit, erreicht hat er nichts. Seit 1991 gab es tausende Gespräche. Nichts kam heraus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2013)

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