Spindelegger und Faymann sehen sich durch den Wahlerfolg der deutschen Kanzlerin in ihrer Linie im Wahlkampfendspurt bestätigt. Allerdings hinkt Österreich bei Reformen und Budgetüberschüssen nach.
Wien. Es kommt nicht alle Tage vor, dass ÖVP und SPÖ die Arbeit einer konservativen Politikerin als Nachweis für die Richtigkeit ihrer eigenen politischen Linie betrachten. Nach dem Wahlerfolg von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der deutschen Wahl am Sonntag reklamieren beide Regierungsparteien in Wien, dass Merkel mit jenen Anliegen den Sieg geholt hat, für die Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger vor der Nationalratswahl am Sonntag eintreten.
Bei allen Bemühungen, ein bisschen am Erfolg Merkels für die eigene Kampagne mitzunaschen, gibt es einen wesentlichen Unterschied. Merkel, Helmut Kohl einstiges „Mädchen“, gilt nicht nur in Deutschland als Führungsfigur. Wien ist anders: Bei Faymann wird bezweifelt, dass er tatsächlich einen Bonus als Kanzler hat. Spindelegger ist an der ÖVP-Spitze abhängig davon, wie weit ihn die starken schwarzen Landeshauptleute, allen voran Erwin Pröll in St.Pölten, gewähren lassen.
Was der Triumph Merkels der ÖVP und Spindelegger dennoch zeigt? Die CDU-Politikerin galt vor der Machtübernahme 2005 als blass und wenig zugkräftig im Vergleich zu SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder. Dennoch schaffte sie den Sprung an die Spitze. Es ist also möglich, als seriöser, fader Spitzenpolitiker Wahlen zu gewinnen – und das nicht nur einmal. Solche Ausdauer eines Parteichefs und die Geduld der Partei mit ihm sind in der ÖVP selten anzutreffen.
Rot und Schwarz in Wien pickten nur Punkte heraus, mit denen sie ihre Linie unterstützt sehen. Für Faymann war das der Umstand, dass Merkel Deutschland ruhig durch die Jahre seit der Finanzkrise 2008 geführt hatte. Was die SPÖ den Österreichern mit Faymanns „sicherer Hand“ suggeriert.
Für Spindelegger ist die Ausgangslage schwieriger als für Merkel: Der ÖVP-Chef stellt den Kanzleranspruch, ohne einen Alternativkandidaten zur SPÖ für eine neue Regierung zu haben. Der ÖVP-Obmann betrachtet Merkels Nein zu mehr Schulden und ihren Wirtschaftskurs als Beweis, dass er mit dem Nein zu SPÖ-Plänen für Steuererhöhungen richtig liegt. Eine Lehre aus Deutschland ist aber: Das Nachbarland hat sich rascher Finanzspielraum und schon einen Budgetüberschuss erarbeitet. Österreich sieht erst 2016 ein ausgeglichenes Budget vor.
Das liegt auch daran, dass Deutschland unpopuläre Sozialreformen (Pensionen, Hartz IV) noch unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder bis 2005 eingeleitet hat. Davon hat Merkel seither profitiert. In Österreich wurden erst 2012 Eingriffe fixiert. Zu wenig, zu spät: Ein großer Teil der Unzufriedenheit rührt daher, dass viele Bürger den Eindruck haben, in der rot-schwarzen Regierung werde vieles zu lang blockiert. In Deutschland wurde unter konservativer Führung mit dem Ausbau der Kinderbetreuung signalisiert, dass sie auf gesellschaftliche Veränderungen (mehr berufstätige Frauen) reagiert. Spindelegger streicht die Wahlfreiheit der Eltern hervor. Mit der Betonung der Absage an „Zwangsregelungen“ signalisiert die ÖVP dennoch eine defensive Position.
Front von Euro-Kritikern
Bei der Eurokrise hat Merkel mit Sparauflagen für Griechenland deutlich Position bezogen. Dennoch hat die Euro-kritische Allianz für Deutschland aus dem Stand fast den Einzug in den Bundestag geschafft. In Österreich geht die SPÖ zwar auf Distanz zum „Kaputtsparen“ in Europa. Bei der Wahl muss Faymanns Regierung dennoch fürchten, dass die Opposition von FPÖ über BZÖ bis Frank Stronach von EU- und Euro-kritischer Stimmung stark profitiert.
Am Montag hat sich wie in Deutschland prompt eine EU-kritische neue Allianz für Österreich formiert. Für die Wahl am Sonntag ist das allerdings zu spät.
AUSGANGSLAGE
Nationalratswahl. In Österreich regieren SPÖ und ÖVP nun seit Jänner 2007, zuerst unter Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, seit Dezember 2008 unter Werner Faymann (beide SPÖ). Am kommenden Sonntag könnten beide Parteien zusammen erstmals seit 1945 unter einen 50-Prozent-Stimmenanteil fallen, eine Zweierkoalition könnte damit unmöglich werden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2013)