Putin-Show im Kreml: "Krim ist uns heilig"

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Der Präsident inszenierte sich im Georgssaal als Hüter der nationalen Interessen. Er holte zur Generalabrechnung mit dem Westen aus.

Fünf Minuten ließ der Herr des Hauses das Auditorium im Georgssaal des Kreml warten, ehe sich mit einem Fanfarenstoß die riesige, goldene Flügeltür des Prunksaals öffnete, der für spezielle Anlässe reserviert ist: für Ehrungen wie einst für Juri Gagarin, den ersten Kosmonauten, oder für Empfänge, Zeremonien und historische Reden wie jene Wladimir Putins am Dienstagnachmittag. Eine Dreiviertelstunde beschwor der russische Präsident Pathos und Patriotismus, erinnerte in einem Exkurs an die gemeinsame Historie zwischen Russland und dem „Brudervolk“ der Ukraine und stellte ein für alle Mal die Zugehörigkeit der Krim zu Moskau fest: „Die Krim ist uns heilig.“

Unter Jubelrufen und Ovationen hatte Putin zu Beginn vor den beiden Kammern der Duma, des Parlaments, den Ton gesetzt: „Bürger Russlands, Bewohner der Krim und Sewastopols.“ Am Ende, als die russische Hymne, die ehemalige Sowjethymne, verklungen war, hatte der Kreml-Herr dann vollendete Tatsachen geschaffen.

In bester Gesellschaft auf der Watchlist

Das weiße Rednerpult auf dem Podium war hinter den Kulissen verschwunden, und auf einem Schreibtisch unterzeichneten Putin und drei Protagonisten, die zuvor aus der ersten Reihe den Auftritt des Präsidenten verfolgt hatten, die Aufnahme – so die Diktion Putins – „zweier Subjekte in die Russische Föderation“: der Krim und Sewastopols. Im Publikum rollten Abgeordnete die russische Trikolore aus, mancher Patriotin trieb der Überschwang der Gefühle Tränen in die Augen.

Zum Festakt im polierten Glanz des Georgssaals mit den schweren Lustern hatte Putin drei Repräsentanten der Krim auf die Bühne gebeten, die seit Wochenbeginn unter EU-Bann stehen: Sergej Aksjonow, den Krim-Premier, in Polizeikreisen auch auch unter dem Mafia-Pseudonym „Goblin“ bekannt; den Parlamentspräsidenten Wladimir Konstantinow; und Alexej Chalij, den Bürgermeister von Sewastopol, im schwarzen Pullover.

Sie befanden sich in bester Gesellschaft: Denn auch im Auditorium, wo Turbane, Hüte, Mützen und Kippas die ethnische und religiöse Vielfalt des Landes spiegelten, mischten sich Spitzenpolitiker wie Premier Dimitri Medwedjew oder Außenminister Sergej Lawrow mit Offiziellen, die neuerdings in Washington auf der Watchlist aufscheinen: Vizepremier Dimitri Rogosin und die Duma-Vorsitzende Walentina Matwijenko, die Vorsitzende des Föderationsrats. Verhöhnte der eine den US-Präsidenten als „Genosse Obama“, sprach die andere im Zusammenhang mit den Sanktionen des Westens von „Erpressung“. Generell zeigen sich Russland und seine Politiker ostentativ nicht eingeschüchtert von den Strafmaßnahmen.

Wie zum Beweis zitierte Wladimir Putin aus einer jüngsten Umfrage: Für 95Prozent schützt der Präsident die nationalen Interessen, 92 Prozent der Russen unterstützen demnach den Anschluss der Halbinsel, 68Prozent betrachten die Krim als russisches Territorium. Selbst ein Putin-Kritiker wie der im Inland nur wenig angesehene Michail Gorbatschow fand lobende Worte: Unisono mit Putin sagte er, die Wiedereingliederung der Ukraine korrigiere den „historischen Fehler“ des Sowjetführers Nikita Chruschtschow, der der Ukraine die Schwarzmeer-Halbinsel 1954 auf dem Silberteller präsentiert hatte. „Was zusammengehört, wird zusammenwachsen“, meinte in Anspielung auf den Berliner Mauerfall der Analytiker Dmitri Trenin.

Die Krim, betonte Putin in seiner Rede, sei „untrennbarer“ Bestandteil Russlands, durchdrungen von Nationalstolz. Beim Kollaps der Sowjetunion habe sie wie ein „Sack Kartoffeln“ den Besitzer gewechselt, und die Russen seien über Nacht in einem anderen Land aufgewacht. Vor dem Hintergrund russischer Standarten inszenierte sich der Präsident als Hüter nationaler Interessen und redete sich in Rage: „Wir sind nicht nur bestohlen worden, wir wurden ausgeraubt – eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit.“

Attacke gegen den Westen

So hatte er bereits bei jener Pressekonferenz argumentiert, die er vor knapp zwei Wochen in seiner Residenz bei Moskau einberufen hatte. Diesmal streute er noch stärkere Vokabel in die Menge, um das russische Volk geschlossen hinter sich zu versammeln. Worte wie Verrat und Betrug sollten signalisieren, dass Russland seit dem Zerfall des Sowjetimperiums übel mitgespielt worden ist.

Den Krimtataren sicherte er alle Rechte zu, dem Rest der Ukraine volle Souveränität. Umso mehr wetterte er gegen die herrschende Klasse in Kiew: „Neo-Nazis, Antisemiten, Feinde Russlands.“ Die „Schläger vom Maidan“ hätten jetzt das Sagen. „Wir konnten die Russen auf der Krim nicht im Stich lassen.“

Erneut zog er eine Parallele zum Kosovo-Konflikt, er prangerte die „Doppelmoral“ und den „primitiven Zynismus“ des Westens an und holte zur Generalabrechnung aus. Den USA warf er – vom Balkan über den Irak bis zu Libyen – vor, das „Recht des Stärkeren“ auszuüben. „Ich traute meinen Augen nicht, als Ende des 20.Jahrhunderts Bomben in Belgrad einschlugen.“ Ein ums andere Mal, bei der Nato-Osterweiterung oder den Flugabwehrsystem-Plänen, habe der Westen „rote Linien“ überschritten. Als nach der Suada donnernder Applaus aufbrandete, nippte Wladimir Putin an einem Glas Wasser.

AUF EINEN BLICK

Putin-Rede. Im Georgssaal des Kreml unterzeichnete der russische Präsident bei einem Festakt die Aufnahme der Krim-Halbinsel in die Russische Föderation. In einem Rundumschlag hatte er zuvor den Anspruch Moskaus auf die Krim verteidigt, der Ukraine Souveränität zugesichert, zugleich aber die Führung in Kiew als „Neo-Nazis, Russland-Feinde und Antisemiten“ angeprangert. Gegenüber dem Westen fuhr Putin schwere Geschütze auf. Er kritisierte die Doppelmoral in internationalen Konflikten, das „Recht der Stärkeren“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2014)

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