„Al-Qaida ist wieder sehr stark geworden“

Terrorexperte Gunaratna warnt vor steigender Anschlagsgefahr und neuen Taktiken in Afghanistan und Irak.

wien. Serien blutiger Attentate im Irak, Offensiven in Afghanistan – Osama bin Ladens Terrororganisation al-Qaida gibt wieder kräftige Lebenszeichen von sich. Al-Qaida-Experte Rohan Gunaratna warnt im „Presse“-Interview, dass sich dieser Trend weiter verstärken wird. Die Terrorgefahr sei gestiegen – gerade im Westen. „Al-Qaida ist immer mehr in der Lage, Kämpfer und Attentäter nicht nur aus Extremisten-Kreisen, sondern auch aus dem muslimischen Mainstream zu rekrutieren“, schildert Gunaratna, der das Internationale Zentrum für politische Gewalt und Terrorforschung in Singapur leitet und die britischen Behörden berät.

Al-Qaida sei es in den vergangenen Jahren gelungen, ihre – bereits zerschlagene – Kampforganisation wieder aufzubauen. Im Oktober 2001 habe al-Qaida noch über 3000 bis 4000 Kämpfer verfügt, innerhalb eines Jahres waren es weniger als 1000. Viele starben bei der US-geführten Offensive in Afghanistan, zahlreiche Führungspersonen wurden in Pakistan verhaftet.

Die verbliebenen Kämpfer zogen sich in Pakistans Stammesgebiete zurück und konnten sich dort restrukturieren. Zwar verfüge die al-Qaida nicht mehr über so viele Kämpfer wie früher, so Gunaratna. Doch die Führungsstrukturen wurden erneuert. „Al-Qaida ist heute wieder sehr stark: Sowohl als operative als auch als ideologische Organisation“. Gunaratna schildert, an welchen Fronten al-Qaida derzeit mit welchen Mitteln kämpft:

• Kriegsschauplatz Irak. Der Irak war in den vergangenen Jahren das Hauptbetätigungsfeld für sunnitische Extremisten, die unter dem Banner der al-Qaida kämpften. Hier erzielte die Organisation mit ihren Attentaten große mediale Aufmerksamkeit und konnte neue Guerrilla-Taktiken erproben. Der Tod des irakischen al-Qaida-Führers Abu Musab al-Zarqawi war zwar ein Rückschlag. Zarqawis Nachfolger Abu Ayyub al-Masri gilt jedoch als erfahrener Kämpfer. Er leitete bereits ein al-Qaida-Camp in Afghanistan.

• Kriegsschauplatz Afghanistan.
Neben Irak ist Afghanistan das wichtigste Schlachtfeld. Mit der Leitung der militärischen al-Qaida-Operationen in Afghanistan wurde Sheikh Saeed betraut. Der erfahrene al-Qaida-Mann hatte islamistischen Gruppen in Ägypten angehört und war Anfang der neunziger Jahre mit Bin Laden im Sudan. Sheikh Saeed hat die Kampftechniken der al-Qaida in Afghanistan verbessert – unter anderem unter Zuhilfenahme der Erfahrungen aus dem Krieg im Irak.

• Neue Front Pakistan.
Al-Qaida beginnt sich auch für den Kampf pakistanischer Islamisten zu engagieren. So wurden Verbindungen zu den pakistanischen Taliban aufgebaut – einer Islamistengruppe, die sich bereits zu mehreren Anschläge auf pakistanische Militärstützpunkte bekannt hat.


Zellen im Westen. Für Kämpfer der einstigen al-Qaida-Stammmannschaft ist es mittlerweile schwierig, die USA oder Europa zu infiltrieren. Dafür haben westliche Geheimdienste schon zu viele Informationen über sie gesammelt. „Die größte Gefahr – vor allem für Europa – geht heute von heimischen Terrorzellen aus“, sagt Gunaratna. Viele dieser Gruppen bilden sich sehr spontan. Ihnen gehören Personen an, die jahrelang nicht aufgefallen sind und sich in nur kurzer Zeit radikalisiert haben.

Bin Ladens Kampf dient als Inspiration, sein Terrornetzwerk liefert – meist über Internet – das nötige Propagandamaterial. Über direkte operative Kontakte zur al-Qaida verfügen diese Zellen aber meist nicht. All diese Faktoren machen es für die Polizei immer schwieriger, potenzielle Attentäter aufzuspüren.


Globale Zusammenarbeit. Al-Qaida arbeitet weltweit mit einer Reihe von Extremistengruppen zusammen. Die meisten dieser Gruppen bestehen schon seit langem und arbeiten unabhängig, werden nun aber von Bin Ladens Organisation mit technischer Hilfe, Geld und Ideologie gefüttert.

Viele der Gruppen nutzen zudem die Trademark „al-Qaida“ und haben sich umbenannt. So bezeichnen sich etwa Algeriens Salafisten nun als „al-Qaida im Maghreb“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.