Irak: Yeziden fürchten nach Attentaten ihre „Ausrottung“

(c) AP (Jacob Silberberg)
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Bis zu 600 Tote nach Terroranschlag auf yezidische Minderheit im Norden.

WIEN/ERBIL.„Diese Fanatiker wollen uns vernichten. Sie wollen uns Yeziden einfach ausrotten.“ Aus der Stimme von Mirza Dinnayi klingt Verbitterung. Der einstige Minderheiten-Berater des irakischen Präsidenten Jalal Talabani kann noch immer nicht fassen, was in den nordirakischen Dörfern Qahtaniya und Jazeera geschehen ist. Extremisten hatten dort fünf Lkw voller Sprengstoff in die Luft gejagt und ein Blutbad angerichtet. Irakische Regierungsstellen sprachen am Donnerstag von mehr als 400 Opfern, Dinnayi geht sogar von 600 Toten aus.

„Überall im Schutt findet man Körperteile. Ganze Familien wurden ausgelöscht“, schildert Dinnayi der „Presse“. Unzählige Häuser seien zerstört worden. „Viele Überlebende müssen jetzt im Freien schlafen“, berichtet Talabanis Ex-Berater und Koordinator der „Yezidi Democratic Community“ in Deutschland. Der Yezidi-Vertreter steht derzeit in ständigem Kontakt mit seinen Glaubensbrüdern im Nordirak.

Die Yeziden sind eine alte Religionsgemeinschaft, die den Islam nie angenommen hat. Für wahhabbitische Fanatiker gelten sie deshalb als Ungläubige und werden sogar als „Teufelsanbeter“ verunglimpft.

Laut Dinnayi hat sich bereits die al-Qaida-Untergruppe „Islamischer Staat im Irak“ zu dem Massaker bekannt. Der Yezidi-Aktivist sieht in den Anschlägen nur einen neuen Höhepunkt eines „geplanten Genozids“ durch fanatische Islamisten. „Alle nicht-muslimischen Minderheiten im Irak sind derzeit in großer Gefahr.“

Vor allem die Yeziden in den Dörfern westlich von Mossul seien in den vergangenen Monaten immer mehr unter Druck geraten. „Die al-Qaida in Mossul hatte in einer Fatwa verboten, den Yeziden Essen zu geben.“ Die Lebensmittelversorgung in den Dörfern habe sich deshalb in den letzten sechs Monaten dramatisch verschlechtert – diese Notlage nutzten die Attentäter nun brutal aus.

Attentäter stellten brutale Falle

„Sie sind mit den Lkw in die Dörfer gefahren und haben den Menschen zugerufen, dass endlich Essen hier ist“, berichtet Dinnayi. Die Bewohner von Qahtaniya und Jazeera glaubten das gerne, hatte es doch zuletzt geheißen, Amerikaner und die kurdische Regionalregierung würden bald Lebensmitteltransporte schicken. Als sich möglichst viele Menschen um die Lkw versammelt hatten, zündeten die Extremisten ihre Bomben.

Laut Dinnay leben etwa 500.000 Yeziden im gesamten Irak, allein im Gebiet um die Stadt Sinjar 300.000. Wegen der wachsenden Unsicherheit denken nun immer mehr an Flucht ins Ausland.

Dinnayi fordert, dass vor allem die Yeziden rund um Mossul nun besseren Schutz erhalten. „In diesem Gebiet sind kaum US-Soldaten stationiert, die lokale Polizei ist zu schwach. Die kurdischen Kämpfer schützen hier nur ihre Parteibüros. Sie sagen, dass die Amerikaner ihnen nicht erlauben, mehr Peshmerga zu schicken.“

Die Yezidi-Orte rund um Qahtaniya und Jazeera liegen nämlich außerhalb des kurdischen Autonomie-Gebietes, die kurdische Regionalverwaltung besitzt hier keine Kompetenzen – zumindest bis jetzt. Denn so wie in Kirkuk soll auch in der Gegend rund um die Yeziden-Dörfer bei Mossul eine Volksabstimmung klären, ob das Territorium Teil des kurdischen Autonomie-Gebiets wird. Arabische Milizen wollen das um jeden Preis verhindern – und die Yeziden sind in diesem Machtkampf ein leichtes Opfer.

HINTERGRUND.Yeziden

Es gibt mehrere hunderttausend Yeziden im Nordirak, Syrien und Kaukasus. Die Religion enthält manichäische, zaroastrische und christliche Elemente. Yeziden glauben an Gott, nicht aber an Sünde, das Böse und den Teufel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2007)

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