Der schmutzige Krieg für "Neurussland"

UKRAINE CRISIS
UKRAINE CRISISAPA/EPA/VALENTINA SVISTUNOVA
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Russische Kämpfer unterstützen Separatisten in der Ostukraine. Doch anders als auf der Krim gibt es hier keine orchestrierte Machtübernahme. Die Kämpfer hören auf niemanden.

Der Staat, für den sie starben, heißt „Neurussland“, Noworossija. So nennen die Separatisten den Osten der Ukraine. Doch ihre Leichen sollen nicht in dem umkämpften Gebiet bleiben. Ihre letzte Ruhe werden die Toten dort finden, wo sie geboren wurden: in Moskau, in den tschetschenischen Städten Gudermes und Grosny. Im alten, sicheren Russland.

Mehr als 30 Männer, die zu Wochenbeginn in den schweren Kämpfen um den Flughafen der Stadt Donezk getötet wurden, wurden am Freitag in Särgen nach Russland rücküberführt. Die Kämpfer sind kein schöner Anblick, auch wenn sie gewaschen und in mit weißem Stoff ausgelegte Särge gepackt wurden. Auf ihren Körpern klaffen unzählige Schusswunden, Zeichen des erbitterten Kampfs. „Wir bringen sie nach Hause“, erklärte Alexander Borodaj, russischer Staatsbürger, Polittechnologe und Premier der Donezker Volksrepublik, gegenüber Journalisten.

Es ist mehr als ein einfacher Leichentransport im Kühlwagen. Es bestätigt, was die Regierung in Kiew schon länger vermutet hat: Russische Kämpfer und russische Waffen unterstützen die ukrainischen Separatisten in ihrem Kampf gegen die Zentralregierung. Sie kämpfen in dem Bataillon „Wostok“ (Osten), das mehrere hundert Mann umfasst. Ihre Zahl und ihr Einfluss ist so groß, dass ihre Beteiligung ohne das Gutheißen Moskaus nicht möglich wäre. Und doch geschieht sie auf ganz andere Art und Weise, als Kiew dies zunächst behauptet hat.

Söldner sind eingesickert. Die ostukrainische Industrieregion Donbass ist nicht die zweite Krim. Im Osten der Ukraine entfaltet sich ein anderes Szenario. Es ist keine minutiös orchestrierte Machtübernahme innerhalb weniger Tage, wie dies auf der Halbinsel in den ersten Märztagen geschah, sondern ein langer, schmutziger Krieg. Russland gibt seine Teilnahme offiziell nicht zu erkennen. Alles deutet auf die Handschrift russischer Geheimdienste hin.Nicht gut organisierte Spezialeinheiten unter klarem Kommando sind aufmarschiert, sondern Dutzende Kämpfer eingesickert. Sie tragen zusammengestückeltes Militärgewand, und sie hören auf niemanden. Es sind Söldner.

Viele davon dürften aus Tschetschenien kommen. Präsident Ramsan Kadyrow selbst bestreitet das. Auch ossetische Flaggen waren auf Aufmärschen zu sehen. Darunter sind Männer, die früher in Kadyrows Sicherheitsstrukturen gedient haben und nun für Geld töten. Während sich das russische Militär in diesen Tagen offiziell von der ukrainisch-russischen Grenze zurückzieht, können diese Bewaffneten weiterhin ohne viel Aufsehen über die Grenze kommen.

In den vergangenen Tagen ist genau das passiert. So warnte der ukrainische Geheimdienst, dass 40Mannschaftswägen mit Kämpfern hinter der Grenze stünden. Alle 40 Wägen sind zwar nicht in der Ukraine aufgetaucht. Doch im Gebiet Lugansk drangen mehrere Busse und Kleinwägen in ukrainisches Staatsgebiet vor, Schüsse von ukrainischer Seite konnten sie nicht alle aufhalten. Erst am Freitag stellten ukrainische Grenzbeamte drei aus Russland kommende Fahrzeuge sicher, in denen sich Dutzende Kalaschnikows, Pistolen und andere Waffen befanden. Vielerorts ist das flache Grenzland schlecht bewacht. Es ist ein Leichtes, Verstärkung und Waffen heranzuschaffen.

Die Kämpfer, die in ihren Mannschaftswägen durch die Stadt rauschen, sind mit der Intensivierung der Kampfhandlungen immer einflussreicher geworden. Auch am vergangenen Sonntag war das zu beobachten: Sie fahren auf dem Lenin-Platz auf, springen von den Ladeflächen und nehmen in einer Reihe Aufstellung: Männer in kugelsicheren Westen mit Kalaschnikows und Scharfschützengewehren, an deren Oberkörper Messer und Funkgeräte stecken. Mit ihrer Parade stehlen sie den politischen Funktionären der Donezker Volksrepublik die Show. Denn die Versammelten wissen, dass sie sich in letzter Konsequenz nur auf die Wostok-Männer und ihre Waffen verlassen können. Als sie Gewehrsalven in die Luft feuern, ist die Verzückung der Umstehenden groß.

An diesem Tag – in der Ukraine wurde gewählt und in Donezk dagegen agitiert – zeigten die Männer des Bataillon Wostok erstmals ihr wahres Gesicht. Vor Journalisten erklären einige von ihnen, sie seien „Kadyrowzi“, Anhänger des tschetschenischen Präsidenten, früher hätten sie für ihn gekämpft, nun seien sie hier. Einen Tag später sterben viele von ihnen im Kampf um den Flughafen.Doch das Bataillon Wostok ist noch nicht gebrochen. Mit genügend Waffen und Kämpfern ausgestattet, will es sich offenbar der separatistischen Führung nicht mehr unterordnen. Es greift nach der Macht im Donbass.

Am Donnerstag fahren Kämpfer vor der besetzten Gebietsverwaltung vor und bringen sie unter ihre Kontrolle. Die politische Führung der Separatisten wird aus dem Haus befördert. Offiziell heißt es, man gehe gegen Marodeure vor. Nach den Kämpfen um den Flughafen kam es zu Plünderungen, auch häufen sich Überfälle auf Banken und andere Geschäftslokale. Doch die Einnahme der Gebietsverwaltung zeugt davon, dass die Spannungen zwischen den Fraktionen zunehmen. Schon früher hatten die Kämpfer in der belagerten Stadt Slawjansk die Politaktivisten in Donezk als Agenten des Oligarchen Rinat Achmetow bezeichnet. Die Verbrüderung der Separatisten in der Volksrepublik Neurussland scheint vorerst fehlgeschlagen. Nicht auszuschließen, dass es in Zukunft zu offenen Flügelkämpfen oder der Ausschaltung gegnerischer Fraktionen kommen könnte.

Heilloses Durcheinander. Doch auch die ukrainischen Kampfeinheiten bieten alles andere als ein einheitliches Bild. Zwar kann von einer Zerrüttung wie bei den Separatisten keine Rede sein, doch an Zusammenarbeit und Abstimmung mangelt es auch hier. Dass man bisher nicht effizienter gegen die separatistischen Bewaffneten vorgegangen ist, liegt auch am Durcheinander der vielen Einheiten und dem Fehlen einer klaren Kommandostruktur.

Im Donbass ist neben der regulären Armee auch die vor Kurzem gegründete Nationalgarde im Einsatz, daneben noch mehrere Spezialeinheiten. Hinzu kommen die sogenannten Milizen der territorialen Selbstverteidigung, Freiwilligenverbände, die pro administrativem Gebiet organisiert sind.

In Dnjepropetrowsk ist mit finanzieller Unterstützung des Gouverneurs Igor Kolomojskij das 500 Mann zählende Bataillon Dnjepr tätig, das im Konflikt um den Donbass auch schon eingesetzt war – also jenseits seines Gebiets. Formell ist es dem Innenministerium unterstellt. Doch es wird befürchtet, dass sich die patriotischen Kräfte von Dnjepr im Konfliktfall in eine regionale Privatarmee Kolomojskijs verwandeln könnten.

„Impotenz“ der Armee. Aus dem Donbass selbst stammt wiederum das Bataillon Donbass, gegründet von dem früheren Militär und Geschäftsmann Semjon Sementschenko. Er rechtfertigte sein Engagement mit dem Argument der patriotischen Notwehr – und der „Impotenz“ der ukrainischen Armee. Auch die Donbass-Kämpfer wurden bereits Ziel von Angriffen. Im Dorf Karlowka verlor das Batallion eine Handvoll Kämpfer, als sie von Separatisten angegriffen wurden. Nun sollen die 120 bis 150 Kämpfer zu einer Spezialeinsatztruppe der Nationalgarde werden. Nicht nur will man sie damit taktisch besser auf den Krieg im Osten vorbereiten. Auch unkoordinierte Alleingänge sollen so künftig verhindert werden.

Neue KÄMPFE

Zwei Zivilisten wurden bei Gefechten im ostukrainischen Slawjansk erschossen. Unterdessen befinden sich acht OSZE-Beobachter weiter in Geiselhaft. Nun vermittelt Moskau.

Russland zog laut US-Präsident Barack Obama zwei Drittel der Truppen von der Grenze zur Ukraine ab. Obama fordert aber einen „vollständigen Rückzug“. Er wird am Mittwoch den neuen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko in Warschau treffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2014)

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