Der Kreml-Chef kommt nächsten Dienstag nach Wien. Trotz Menschenrechtsverstößen in Russland und Putins harschen Vorgehens in der Ukraine trifft er aber auch auf Verständnis. Warum?
Wien. Der Besuch wird nur sechseinhalb Stunden dauern. Und doch sorgt er bereits jetzt für Aufsehen. Denn der, der am kommenden Dienstag Österreich eine Kurzvisite abstatten wird, ist niemand Geringerer als Wladimir Putin – Präsident eines Russlands, das seit einigen Jahren im Konzert der Großmächte zunehmend lautere Töne anschlägt. Der Kreml-Chef wird Bundespräsident Heinz Fischer und Bundeskanzler Werner Faymann treffen und einen Vortrag in der Wirtschaftskammer Wien halten. Die Grünen verlangten am Freitag, dass Putin auch dem österreichischen Parlament zu den Fragen Menschenrechte, Meinungsfreiheit und der Krise in der Ukraine „Rede und Antwort stehen“ müsse – sonst kommt aber so gut wie keine Kritik politischer Parteien am Besuch der russischen Präsidenten.
Wladimir Putin hat in Österreich durchaus Freunde: in der Wirtschaftswelt etwa oder in der FPÖ, die offen für den Kreml Stellung bezieht. Aber auch in der öffentlichen Meinung in Österreich und Deutschland trifft Putins Politik auf Verständnis. Die Gründe dafür sind vielfältig.
• Sorge um Wirtschaftsinteressen. Die österreichische Wirtschaft ist eng mit der russischen verflochten. Die Exporte nach Russland sind seit 2000 massiv gestiegen. 2013 beliefen sie sich auf 3,48 Milliarden Euro, die Importe lagen bei 3,18 Milliarden Euro. Russland ist damit zwar insgesamt nur Österreichs zehntwichtigster Handelspartner, aber Gaslieferant Nummer eins. Österreichische Firmen haben in Russland bisher acht Milliarden Euro investiert, Raiffeisen zählt zu den größten Banken in Russland.
Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl warnte deshalb mehrmals davor, wegen der Ukraine-Krise härtere Sanktionen gegen Moskau zu verhängen. Und schon rund um die Winterspiele in der Schwarzmeerstadt Sotschi hatte man sich in Wirtschaftskreisen nicht gerade glücklich gezeigt über die harte Kritik österreichischer Medien an den Menschenrechtsverstößen in Russland.
• Misstrauen gegenüber „Mainstream“. Dass westliche Medien nicht nur das autokratische System Putins anprangern, sondern auch weitgehend geschlossen seine Großmachtpolitik gegenüber der Ukraine verurteilen, weckt in Teilen der Öffentlichkeit Misstrauen. Grund dafür scheint das Unbehagen gegen den „medialen Mainstream“, einen angeblichen „Meinungseinheitsbrei“ zu sein. Gespeist wird dieses Unbehagen aus dem an sich gesunden Reflex, alles, was einem vorgesetzt wird, grundsätzlich zu hinterfragen.
Darstellungen, die diesem „Mainstream“ widersprechen, sind in Zeiten des Internets ausreichend zu finden. Das Problem dabei: Viele dieser Gegendarstellungen zur Ukraine-Krise stammen aus der Propagandaküche des Kreml (siehe Bericht Seite 3) und halten sehr oft einem Fakten-Check nicht stand.
• Aversion gegen US-Politik. Eines der Motive dafür, warum Putin für sein Verhalten in der Ukraine auf Verständnis stößt, ist eine Aversion gegen die Politik der USA. Putin wird in dieser Sichtweise quasi zum Gegenpol Washingtons, zu einem, der es wagt, einem amerikanischen (westlichen) Dominanzverhalten in der Welt entgegenzutreten. Nach dem Motto: Wenn die USA etwa ohne explizite Zustimmung des UN-Sicherheitsrats 2003 in den Irak einmarschiert sind, dürfe es doch Russland mit gleicher Münze heimzahlen und die Krim annektieren. Vom Bonus des angeblichen „einsamen Kämpfers“, der sich ganz allein den USA entgegenstellt, haben in der Vergangenheit auch schon Machthaber wie Saddam Hussein oder Slobodan Milošević profitiert.
• Verständnis für Moskaus strategische Sorgen. Beim Versuch, sich in Russlands Lage hineinzuversetzen, wird das Argument des Kreml übernommen, die USA (Nato/EU) wollten Russland einkreisen. Aus Sicht der Strategen in Moskau ist es natürlich nicht angenehm, sehen zu müssen, wie sich der einstige Feind im Kalten Krieg, die Nato, und der Konkurrent EU auf dem Gebiet des zerfallenen Warschauer Paktes immer weiter ausbreiten. Nicht einkalkuliert wird bei der Rechnung aber, dass die Erweiterungen von Nato und EU – so störend sie auch für Russland sein mögen – aus den Beitrittsentscheidungen souveräner Staaten wie Polen oder den baltischen Ländern resultieren.
Deutschlands Linkspartei oder andere politische Gruppen blenden in ihrem antiimperialistischen Kampf gegen die USA aus, dass sie dabei Russlands Imperialismus in Osteuropa gutheißen.
• Sympathie für autokratischen Macher. Putins Selbstdarstellung als Machertyp, der das Land mit starker Hand lenkt, stößt auch außerhalb Russlands auf Bewunderung. Der Kreml-Chef erfüllt Sehnsüchte nach dem „starken Mann“, der für „alte Werte“ eintritt und das Feindbild EU bekämpft. Wenn man in Russland zum „moralischen“ Feldzug gegen das angeblich verkommene „Gayropa“ aufruft, werden damit auch rechte Kreise in der EU bedient, denen etwa die Gleichstellung Homosexueller ein Dorn im Auge ist.
AUF EINEN BLICK
Russlands Präsident Wladimir Putin kommt am Dienstag zu einem Kurzbesuch nach Österreich. Er wird in Wien mit Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer und mit Bundeskanzler Werner Faymann zusammentreffen. Dabei steht auch ein längeres Arbeitsessen mit dem Kreml-Chef auf dem Programm. Putin wird zudem einen Vortrag in der Wirtschaftskammer Wien halten. Der gesamte Besuch des russischen Präsidenten wird nur etwa sechseinhalb Stunden dauern.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2014)