Plötzlich Russe: Drei Monate im Reich des Wladimir Putin

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Was sich auf der Krim-Halbinsel seit dem Anschluss an Russland geändert hat. Ein Besuch.

Wegradiert und überklebt. Drei Monaten nach der Annexion durch Russland sind die sichtbarsten Veränderungen auf der Krim provisorischer Natur. Auf zahlreichen Nummernschildern wurde die ukrainische Flagge mit der russischen überklebt, Tipp-Ex überdeckt auf Speisekarten im Restaurant die früheren Preise in ukrainischer Währung, Straßenkiosks verkaufen Plastikhüllen mit der Aufschrift „Russische Föderation“, die sich über den ukrainischen Pass stecken lassen.

Im Zentrum der Hauptstadt Simferopol sind die schwer bewaffneten und maskierten Kämpfer ohne Hoheitsabzeichen wieder abgezogen. Sie haben noch im März hier Wache geschoben. Geblieben sind jedoch die „kleinen grünen Männchen“. Uniformierte, die als sogenannte Selbstverteidigungskräfte der russischsprachigen Bevölkerung im Februar Administrationsgebäude auf der Schwarzmeer-Halbinsel besetzt haben. Jetzt patrouillieren sie mit der russischen Polizei in den Straßen und tragen frisch aufgenähte Abzeichen an den Uniformen. Auf einigen steht: „Höfliche Leute“, ein Spitzname für die maskierten Kämpfer, der während der Krim-Krise im Internet kursiert ist.

Vielerorts auf der Krim überwiegt dieser Tage die Erleichterung, dass die Krise im Februar und März fast ohne Blutvergießen abgelaufen ist. Die bewaffneten Auseinandersetzungen in der Ostukraine sind ein abschreckendes Beispiel. Ganz in den Köpfen angekommen ist der abrupte Wechsel der Staatszugehörigkeit allerdings noch nicht: Viele korrigieren sich im Gespräch gleich selbst: „Wir“ und „sie“ werden gern verwechselt. Viele wissen auch gar nicht: Sind sie nun schon russische Staatsbürger oder noch ukrainische?

Höhere Steuern für Ausländer. Auf dem Papier ist die Sache simpel: Wer bis zum 18. April der föderalen Migrationsbehörde nicht schriftlich bekannt gegeben hat, auf die russische Staatsbürgerschaft verzichten zu wollen, ist nun automatisch Bürger der Russischen Föderation – aus ganz pragmatischen Gründen: Stellen Arbeitgeber ausländische Staatsbürger ein, müssen sie für diese höhere Steuern zahlen. Bei Immobilientransaktionen werden zudem Ausländer nach russischem Recht höher besteuert. „Viele Unternehmen aus Moskau verlangen außerdem einen russischen Pass, damit du eingestellt wirst“, sagt Julia, die Buchhaltung an der Agraruniversität Simferopol studiert hat und Arbeit sucht. Für eine Anstellung im Staatsdienst oder der Polizei ist ein russischer Pass sogar unumgänglich.

Der 21-jährige Denis wollte trotzdem nicht Russe werden. Über die genauen juristischen Folgen eines Verzichts „konnte mich aber nicht einmal die zuständige Behörde aufklären“, klagt der 21-Jährige, der in Sewastopol für ein ukrainisches Medienportal arbeitet. Wohl oder übel hat Denis dann doch nicht verzichtet.

„Jemanden ohne sein Einverständnis zum Bürger eines anderen Staates zu machen, das ist doch Nonsens“, kritisiert Dilaver Akijew, Leiter der krimtatarischen Jugendorganisation „Rat der Jugend“. Viele, die sich vor dem Referendum für die Ukraine engagiert haben, seien deshalb ausgewandert, auch unter der muslimischen Minderheit gebe es viele, die bereits die Halbinsel verlassen haben. Dilaver hofft jedoch, dass dies nur vorübergehend ist.

Im Regierungsgebäude wird derzeit emsig am Aufbau einer neuen Krim gearbeitet. „Wir sind in einem Übergangsprozess, unsere größte Aufgabe ist die Adaption der Gesetze an das Recht der Russischen Föderation“, sagt Sergej Aksjonow, Premierminister der Republik Krim. Lange war er Abgeordneter einer kleinen prorussischen Partei im Krim-Parlament, bis er im Februar im Sog der Krise zum Premier gewählt wurde. Nun residiert er im Gebäude der Regionalregierung. Davor stehen nicht offizielle Polizisten, sondern Mitglieder der Selbstverteidigungskräfte. Das alte Schild an der Tür wurde entfernt, ein neues noch nicht angebracht. Aksjonow spricht viel von der Entwicklung der Wirtschaft und der Verbesserung des Lebensstandards. Und zur Staatsbürgerschaft sagt er, es sei ja niemand gezwungen worden, den ukrainischen Pass abzugeben.  90 Prozent der Bürger der Krim haben sich schließlich beim Referendum dafür entschieden, Bürger der Russischen Föderation zu werden.  Eine Normalisierung der Beziehungen zum Nachbarn Ukraine ist für Aksjonow undenkbar. Er wettert gegen den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko. Wer gegen eine friedliche Bevölkerung eine Militäroperation durchführt, der sei kein Partner, meint er.

Auf der Krim sind derzeit viele juristische Fragen offen – nicht nur mit Blick auf die Staatsbürgerschaft. Davon zeugen auch die zahlreichen Werbeplakate für Juristen und Anwälte, die Dienste nach russischem Recht anpreisen.
Örtliche Unternehmen müssen sich nun in Russland neu registrieren, Immobilien gilt es umzuschreiben, seit der Rubeleinführung am 1. Juni muss in einer neuen Währung abgerechnet werden. Zudem müssen sich Inhaber eines Kontos bei einer ukrainischen Bank nun an einen Fonds zur Einlagensicherung wenden. Die meisten ukrainischen Banken haben ihre Filialen auf der Krim bereits geschlossen, Geldtransfers vom ukrainischen Festland auf die Krim sind nicht möglich. Wer etwa wie Denis einen Teil seines Gehalts aus Kiew bezieht, hat derzeit nur erschwerten Zugriff darauf. Seit der russischen Annexion ist zudem der bargeldlose Zahlungsverkehr fast vollständig zum Erliegen gekommen, Hotels und Restaurants akzeptieren keine Kreditkarten mehr. In der 330.000 Einwohner zählenden Stadt Sewastopol gibt es gerade noch eine Handvoll Bankomaten, bei denen Mastercard und Visa funktionieren. Tourismusveranstalter warnen vor Reisen auf die Krim, ohne vorher ausreichend Bargeld mitzunehmen.

An der Strandpromenade von Sewastopol herrscht Urlaubsstimmung, obwohl es an diesem Samstag regnet. Passanten flanieren, Straßenmusiker treten auf. Und ein Souvenirstand reiht sich an den nächsten. Deren Betreiber haben sich wohl als Einzige vollständig auf die neue Situation eingestellt. Auffallend viele patriotische T-Shirts sind zu sehen. Unter den beliebtesten Motiven: Wladimir Putin in diversen Posen. Doch Skepsis bleibt: „Ein neuer Witz geht so“, sagt Julia. „ Bei uns schien auf der Krim im Sommer die Sonne. Nun sind die Russen da und haben auch gleich ihr Wetter mitgebracht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2014)

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