Während die Öffentlichkeit auf Kobane fixiert ist, schüren Schiiten im Irak Konflikt mit Sunniten. Mit neuem Innenminister wird der Bock zum Gärtner gemacht.
Alles blickt auf Kobane. US-Flugzeuge haben dort Waffen und Munition abgeworfen, und die Türkei lässt kurdische Kämpfer endlich über die Grenze: So lauten die neuesten Erfolgsmeldungen im Krieg gegen den IS. Weil die internationalen Kameras auf der türkischen Seite uns am Kriegskino teilhaben lassen und auch weil die kurdische Medienmaschine so gut geölt ist, wird Kobane seit Wochen zur Entscheidungsschlacht hochstilisiert. Man könnte fast meinen, mit der erfolgreichen Verteidigung von Kobane ist der Krieg gegen den IS so gut wie gewonnen.
Derweil wird der viel wichtigere Kampf – nicht der militärische, sondern der politische – derzeit in Bagdad verloren. Denn dort wurde soeben ein neuer Innenminister ernannt: Mohammed Gabban, bis dato ein kaum bekannter Mann, der nun für die innere Sicherheit zuständig sein soll und aus den Kadern der schiitischen Badr-Milizen stammt. Die Milizen des schiitischen Predigers waren im irakischen Bürgerkrieg vor fünf Jahren für den Tod, die Verschleppung und Vertreibung von tausenden Sunniten verantwortlich.
Damit wird auch der iranische Einfluss auf den irakischen Sicherheitsapparat weiter zementiert. Denn die schiitischen Badr-Milizen gelten als der verlängerte militärische Arm Teherans im Irak. Ironischerweise stammt auch der eher unwichtige irakische Minister für Menschenrechte aus deren Reihen.
Angst vor den schiitischen Milizen
Übrigens sind die schiitischen Milizen längst wieder in Aktion getreten. Nicht die reguläre irakische Armee, sondern die bewaffneten Freischärlergruppen haben in den vergangenen Wochen und Monaten Orte auf der strategisch wichtigen Hauptverbindung zwischen Bagdad und dem Nordirak vom IS befreit.
Trainiert und angeleitet von Eliteeinheiten der iranischen Revolutionsgarden waren sie die Bodenunterstützung für die Luftangriffe der USA, die im Sommer den Vormarsch der IS-Truppen in Richtung Bagdad stoppten. Zuletzt hatte der IS zwar wieder Geländegewinne erzielt, die islamistischen Gotteskrieger rückten von Falluja in der Provinz Anbar – einer Hochburg des IS – auf die Hauptstadt vor, bis auf rund 20 Kilometer vor den Flughafen. Die USA forcierten am Wochenende indessen ihre Luftschläge und schlugen die IS-Offensive zurück. In der Zwischenzeit ereilen die Welt Meldungen von exekutierten, verschleppten und vertriebenen Sunniten. Die sunnitische Bevölkerung in Anbar – so sie nicht mit dem IS sympathisiert – hat vermutlich mindestens so viel Angst vor den IS-Jihadisten wie vor den schiitischen Milizen.
Schiitische Milizen mögen ein militärisch effektives Rezept gegen den IS sein, für die politische Zukunft des Landes sind sie eine Katastrophe. Ein Bürgerkrieg, in dem kurdische Peschmerga, schiitische Milizen und die sunnitische IS versuchen, ihren Anteil vom irakischen Kuchen zu ergattern, ist kein abwegiges Szenario.
Mit der Ernennung des schiitischen Innenministers kann das Konzept einer Einheitsregierung in Bagdad wohl zu Grabe getragen werden. Die Idee dahinter: Man sorgt dafür, dass die seit Jahren von der Macht in Bagdad ausgeschlossenen Sunniten sich endlich wieder repräsentiert fühlen, und hofft darauf, einen Keil zwischen sie und die IS-Jihadisten zu treiben.
Eine Strategie, die – bei einem Erfolg – wesentlich mehr erreichen würde als 100 US-Kampfjets zusammen. Denn letztlich können nur die Sunniten selbst den IS loswerden. Ein Aufstand der sunnitischen Stämme gegen den IS wäre das mit Abstand wirksamste Mittel im Kampf gegen die Extremisten. Doch mit der Berufung eines schiitischen Milizionärs zum irakischen Innenminister hat man den Bock zum Gärtner gemacht – mit dem Effekt, das Land endgültig auseinanderzudividieren.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2014)