Bolivien: „Bei uns kaut man Kokablätter seit 5000 Jahren“

(c) APA (Hans Klaus Techt)
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Boliviens Präsident Morales wirbt vor UN-Drogenbehörde in Wien für Entdämonisierung der Kokapflanze. 1961 wurde das Gewächs in die UN-Drogenkonvention aufgenommen.

WIEN (wg). C17H21NO4 ist die Summenformel eines Stoffs, von dem man sagen könnte, dass er weltweit viele Arbeitsplätze schafft: Es handelt sich um Kokain, jenes aufputschende, euphorisierende Alkaloid, das seit Jahrzehnten eine illegale Droge ist und somit dafür sorgt, dass sowohl Drogenhersteller und -händler als auch Drogenfahnder genug zu tun haben.

Als Rohstoff dienen die Blätter des in Südamerika verbreiteten Coca-Strauchs (Erythroxylum coca). 1961 wurde das Gewächs in die UN-Drogenkonvention aufgenommen; der Anbau ist strikt limitiert und staatlicher Kontrolle unterworfen, am liebsten würde man ihn ganz verbieten.

Ungünstigerweise wird Koka seit Langem von Südamerikas Ureinwohnern für medizinische, religiöse, soziale und Genusszwecke genutzt – weshalb Boliviens Präsident Evo Morales, selbst Kokabauer, am Dienstag vor der 52.Sitzung der UN-Drogenkommission in Wien ein beherztes Plädoyer für das Kokablatt hielt. „Ich bitte, dass man Koka von der Liste der Substanzen in der Konvention streicht“, sagte Morales, der 2006 als erster Indigener zum Präsidenten Boliviens wurde. Die Aufnahme damals sei ein „historischer Fehler“ und politisch motiviert gewesen; die Pflanze sei ein traditionelles Medikament. Tatsächlich wird Koka, das vor allem in Peru, Bolivien und Kolumbien angebaut wird, seit über 5000 Jahren benutzt, etwa als leichtes Aufputschmittel, gegen Schmerzen, Hunger, Frauenleiden und für rituelle Zwecke. Kokain enthalten die Blätter nur in Spuren; es wurde erst 1859 in Europa isoliert und als Medizin, später als starke Rauschdroge benutzt, wodurch es Mitte des 20. Jahrhunderts in Verruf geriet – vor allem auf Druck der USA, die speziell in den 1980ern den Krieg gegen den Kokaanbau intensivierten, als vermehrt Koks in die USA kam und daraus auch die sehr gefährliche Droge „Crack“ erzeugt wurde.

Gegen die Drogenmafia

Sein Land sei gegen Kokain, man werde Koka weiter nur kontrolliert anbauen und illegales Koka vernichten. Aber man dürfe die Pflanze und ihre traditionellen, unschädlichen Anwendungen nicht verteufeln, so Morales. Vor allem bekämpft Bolivien den Punkt der Konvention, der das Kauen von Kokablättern binnen 25 Jahren nach Inkrafttreten des Vertrags (1964) verbot. „Wir kauen seit 5000 Jahren, das kann man nicht in 25 Jahren abstellen. Es schadet Gesundheit und Psyche nicht“, sagte Morales und erwähnte eine Studie der Weltgesundheitsorganisation. „Ein Kokaverbot verletzt die andine Kultur. Im Übrigen müsste man mich dann ins Gefängnis werfen.“

Von der neuen US-Regierung unter Barack Obama erhofft Morales Verständnis: „Wir haben durch unsere Herkunft viele Ähnlichkeiten.“ Daher könne man leichter gemeinsame Standpunkte finden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2009)

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