Ukraine: Der Antisemitismus der Separatisten

Sachartschenko
Sachartschenko(c) imago/ITAR-TASS (imago stock&people)
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Separatistenführer Sachartschenko geißelte die Kiewer Führung als „armselige Juden“. Antisemitische Diskreditierung gehört zum ideologischen Repertoire großrussischer Extremisten.

Während ihrer Pressekonferenz hatten sich Igor Plotnitzkij und Alexander Sachartschenko große Mühe gegeben, grimmig zu wirken. Sie hatten am Montag wortgewaltige Appelle an die Kiewer Führung gerichtet, die es zulasse, dass aus Kindern Waisen würden; sie hatten den Kampfwillen der Armee in Abrede gestellt, die von einer Niederlage zur nächsten wanke. Der füllige Plotnitzkij, Ministerpräsident der selbst ernannten Luhansker Volksrepublik, und neben ihm Sachartschenko, wie immer in Armeegrün, Premier der selbst ernannten Donezker Republik. Gegen Ende erlaubten sie sich noch eine Bemerkung, grinsend, in Kameraderie vereint. Die Kiewer Regierenden seien, sagte Sachartschenko, „armselige Vertreter des großen jüdischen Volkes“. Diese Leute hätten es nicht verdient, an der Spitze der Nachkommen von Kosaken zu stehen. Taras Schewtschenko, Nationaldichter der Ukraine, „würde sich im Grabe umdrehen angesichts solcher Anführer“. Ende des Gesprächs.

Was haben Juden und Kosaken mit dem gegenwärtigen Konflikt in der Ostukraine zu tun? Was für Außenstehende schwer verständlich ist, ist für die Zuschauer – das Gespräch wurde im russischen Staatsfernsehen Rossija 24 und auf dem reißerischen Sender Lifenews übertragen – nur allzu klar: Mit dem Stigma des „Juden“ lässt sich der Gegner noch immer am besten schmähen. Wobei Sachartschenko ganz im Sinne seiner großrussischen, orthodoxen Vordenker auf eine spezifische antisemitische Denkfigur zurückgreift: die Juden als klassische Fremdherrscher. Der Verweis auf den Kosaken-Ursprung der Ukrainer stärkt so das Argument, kämpften die Kosaken doch in der Vergangenheit unter anderem gegen Juden.

Die Propaganda, die ausgehend von russischen ultrarechten Kreisen derzeit nicht nur in „Neurussland“ Verbreitung findet, tönt weiters: Seit dem Maidan hätten in Kiew so genannte „Zhidobanderowcy“ das Sagen: „Bandera-Juden“ also, benannt nach Stepan Bandera, dem als offiziellen Helden verehrten ukrainischen Nationalisten. Juden und Ultranationalisten bzw. Faschisten gehen in dieser Darstellung eine angebliche Koalition ein. Die Juden hätten sich den Kiewer Faschisten angedient, so wird in dieser verqueren Argumentation behauptet.

Kiews jüdische Unterstützer

Diese angebliche Symbiose verkörpert in der Propaganda niemand so klar wie Igor Kolomojskij, Gouverneur der Region Dnjepropetrowsk. Kolomojskij ist ein Geschäftsmann, aktives Mitglied der großen jüdischen Gemeinde von Dnjepropetrowsk und unterstützt Freiwilligenbataillone im Kampf gegen die Separatisten. Kolomojskij kehrte die Verletzung in Spott gegen seine Widersacher um, indem er sich selbstbewusst in einem schwarzen T-Shirt mit der roten Aufschrift „Bandera-Jude“ präsentierte, samt ukrainischem Wappen, stilisiert zu einem siebenarmigen Leuchter. Man mag über die plakative (jüdische) Identifikation mit der kontroversiellen Figur Banderas den Kopf schütteln. Doch Kolomojskij ist nicht der Einzige, dem eine jüdische Herkunft zum Vorwurf gemacht wird: Rada-Vorsitzende Wladimir Groisman ist bekanntlich Jude; auch Premier Arsenij Jazenjuk wird wegen angeblicher jüdischer Wurzeln verunglimpft. Er selbst schweigt dazu.

Ein Körnchen Wahrheit stecke freilich im „Bandera-Juden“-Stereotyp, sagt Andreas Umland, Mitarbeiter am Institut für Euroatlantische Studien in Kiew: „Der Großteil der ukrainischen Juden unterstützt den Nationalstaat.“ Und er macht auf eine Entwicklung aufmerksam: „Die jüdischen Unterstützer werden – wie russischsprachige Patrioten auch – zunehmend von den ukrainischen Nationalisten akzeptiert.“

Was ist nun tatsächlich dran am Vorwurf der „faschistischen Junta“ von Kiew? Auch von westlichen Kommentatoren wurde befürchtet, dass im Gefolge der Maidan-Proteste extremistische Elemente wie die Swoboda-Partei und die ultranationalistische Sammelbewegung „Rechter Sektor“ an die Macht kommen könnten. Umland hält den Vorwurf für „absurd“. Verfügte Swoboda in der Übergangsregierung noch über mehrere Posten, ist sie nun nicht mehr im Kabinett vertreten.

Auch der „Rechte Sektor“, der sich zuletzt von Antisemitismus distanzierte, ist heute marginal. Zwar haben sich vereinzelt politische Akteure wie der unabhängige Abgeordnete Andrij Biletskij als Rassisten bzw. Anhänger des Arier-Mythos zu erkennen gegeben. Eine akute antisemitische Gefahr scheint in der Ukraine heute aber nicht zu bestehen. Die Statistik des Euroasiatischen Jüdischen Kongresses verzeichnet die höchste Zahl antisemitischer Delikte während der letzten zehn Jahre zwischen 2005 und 2007.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2015)

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