Petrolao: Schmiergeldskandal erschüttert Brasilien

Petrobras Defends Texas Refinery Deal That Lost $530 Million
Petrobras Defends Texas Refinery Deal That Lost $530 Million(c) Bloomberg (Dado Galdieri)
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Ein Richter deckt einen Milliardenskandal um den Ölkonzern Petrobras auf, in den Firmen, Parteien und wohl auch höchste Politiker des Landes verstrickt sind.

Sind es Millionen? Oder beläuft sich die Summe der abgezweigten Beträge auf Milliarden? Geht's um eine überschaubare Anzahl gieriger Manager, Unternehmer und krimineller Parteikassierer? Oder demonstriert das stetig weiter entblätterte Schmiergeldschema um Brasiliens staatlichen Ölkonzern Petrobras die Funktionsweise der Politik in Südamerikas größtem Land?

Schon am Ende des Wahlkampfes vorigen Oktober hatte Oppositionskandidat Aécio Neves versucht, aus den im Juli 2013 begonnenen Ermittlungen Kapital zu schlagen. Der Versuch scheiterte, Dilma Rousseff konnte ihr Amt verteidigen. Doch den Skandal stoppen, das vermochte die mächtigste Frau Südamerikas nicht. Die Schmutzlawine hat sich inzwischen zum Erdrutsch ausgewachsen, der genügend Faulschlamm mit sich führt, um Rousseffs zweite Amtszeit zu besudeln. Treibende Kraft hinter dem Petrolao genannten Skandal ist Richter Sergio Moro aus der südbrasilianischen Vorzeigestadt Curitiba. Der 42-jährige Familienvater treibt konsequent die Ermittlungen voran. Die begannen zuerst mit einem Korruptionsfall kleinerer Dimension. Doch der Richter, ein Spezialist für Finanzdelikte mit Diplom der Harvard Law School, stellte seine Arbeit auch nicht ein, als klar wurde, welch dicke Fische in dem aus dem trüben Wasser gezogenen Netz hingen. Entscheidend war, dass Moro einige Schlüsselfiguren zum Auspacken überreden konnte. Daraus konnte er jenes Geschäftsmodell nachzeichnen, das nach Schätzungen der Polizei von 2004 bis 2012 etwa vier Milliarden Dollar am Fiskus vorbei in Parteikassen und auf Auslandskonten bewegte.

Unter dem Tisch wandert Geld zurück

Das Schema lief nach jenem klassischen Modell, das im Gros Lateinamerikas als „retorno“ bekannt ist: Firmen, die Aufträge des Energieriesen Petrobras wollten, mussten etwa drei Prozent des Investitionsvolumens unter dem Tisch an den Auftraggeber zurückschicken. Eine Schlüsselfigur war der im Mai 2014 verhaftete Petrobras-Manager Paulo Roberto Costa, der seit 2004 die Einkaufsabteilung des Staatskonzerns leitete. Um seine Haut halbwegs zu retten, gab Costa Millionen zurück, dazu Strandresidenz und Helikopter. Und legte offen, welche Firmen an den Deals teilnahmen. Die schwarze Liste Richter Moros liest sich wie ein Who's who des Bauwesens, mehrere der 13 Konzerne waren beteiligt an Bauten zur Fußball-WM 2014, deren explodierende Kosten ebenfalls Fragen aufwarfen. Im November ließ Moro 21 Manager festnehmen, gesamt sind 39 Personen in Haft.

Der exklusive Klub, der nach Aussagen geständiger Manager mit der Petrobras-Spitze die Schmiergelddeals aushandelte, umfasst international aktive Konzerne wie die Bauriesen Odebrecht, Galvão Engenharia und Camargo Corrêa, aber auch die Stahlkonzerne Techint aus Argentinien und Skanska: Der schwedische Rohrbauer, der 2007 in Argentinien in einen Schmiergeldskandal mit der Regierung verwickelt war, kündigte im Dezember an, seine seit sechs Jahrzehnten betriebenen Geschäfte in Lateinamerika einzustellen. „Auf dem südamerikanischen Kontinent herrscht Korruption“, gab der Lateinamerika-Chef Johan Henriksson weitgehend offen zu.

Die Verzweigungen des Skandals führen bis in die Spitzen von Petrobras. Ende Jänner fror die Justiz die Konten von José Sergio Gabrielli ein, der den Konzern 2005–2012 leitete. Die meisten Brasilianer erinnern sich an jenes Foto, auf dem Gabrielli in orangem Overall freudig seine ölverschmutzte Hand in die Kamera hält: Das Bild von 2008 zeigt den Anstich der brasilianischen Tiefseevorkommen, und es zeigt einen anderen Bärtigen mit Overall und dreckigen Fingern: Luiz Inácio da Silva, genannt Lula, dessen Aufstieg vom Analphabeten zum armutsreduzierenden Präsidenten alle Welt faszinierte, selbst US-Präsident Obama rief einst aus: „That's my man!“

Rousseff konnte kaum von nichts wissen

Aus jüngster Zeit sind solche Sympathieausbrüche gegenüber Brasiliens Spitzenpolitikern kaum bekannt, was nicht nur an der distanzierten Art der Chefin liegt. Noch weiß niemand, wie weit Petrolao Dilma Rousseff betrifft. Die Ökonomin aus Porto Alegre trat 2003 in Lulas Regierung ein und übernahm das Energieressort, das Schlüsselministerium für den Ölkonzern. Freilich gab Rousseff diese Amtsleitung bereits 2005 weiter, aber dann fungierte sie als Kabinettschefin Lulas, ein Schlüsselposten in dem mit über 30 Ministerien bestückten Regierungssystem.

Sicher ist, dass Vertreter von Rousseffs Arbeiterpartei PT in die Chose verwickelt sind, dazu Granden mehrerer Koalitionsparteien. Jüngst wurde João Vaccari Neto zeitweise festgenommen, Moro hält dem PT-Schatzmeister vor, Firmen zu Parteispenden aufgefordert zu haben. Basis dafür sind Notizen des Petrobras-Managers Pedro Barusco. Der gab an, dass bei den 89 wichtigsten Großaufträgen von 2004 bis 2011 Schmiergeld über 431 Mio. Dollar floss. Davon endeten, so der ehemalige Engineering-Chef des Konzerns, 164 Mio. Dollar bei der Arbeiterpartei.

Bedrängt entließ Rousseff jüngst die Konzernspitze: Auf Graca Foster, die lange Jahre Freundschaft mit Rousseff verband, folgte der frühere Direktor der Staatsbank Banco de Brasil. Er soll ausgerechnet in Zeiten des Ölpreisverfalls den Schaden für den Konzern abmindern, der in den vergangenen vier Jahren zwei Drittel seines Börsenwerts verlor.

Die Aufdecker nannten ihre Ermittlungsaktion „Lava Jato“, wie die Schnellwäsche von Autos. Viele Brasilianer hoffen nun, dass der unerschrockene Richter Moro noch den Hauptwaschgang wird ausführen können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2015)

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