Wird Warschau ein zweites Budapest?

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Jaroslaw Kaczyńskis rechtsnationale PiS hat seit gestern die absolute Mandatsmehrheit. Als Außenminister wird der gemäßigte Ujazdowski gehandelt. Nicht nur deshalb dürfte eine außenpolitische Revolution ausbleiben.

Warschau. Bis Dienstagmittag musste die siegreiche Kaczyński-Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) zittern, ob sie die absolute Mehrheit im Sejm, der großen Parlamentskammer, erreicht oder doch einen Koalitionspartner braucht. Dann wurde der große Durchmarsch von der Wahlkommission bestätigt. Die PiS kommt auf 335 (von 460) Sitzen, die abgewählte Bürgerplattform PO nur noch auf 138.

Dass in den nun einsetzenden PiS-Personaldiskussionen die designierte Premierministerin, Beata Szydlo, viel zu sagen haben wird, darf nicht angenommen werden. Von Anfang an war deutlich, dass sie nur Lückenbüßerin ist, ein herzliches Gesicht, hinter dem sich der von vielen Polen nach wie vor gehasste Kaczyński verstecken kann. Einen großen Einfluss auf die Regierungsbildung hat dagegen der Umstand, dass es sich bei der PiS von 2015 de facto um eine Drei-Parteien-Allianz handelt. Kaczyński gibt zwar klar den Ton an, doch ohne die rechten Kleinparteien, Polen Gemeinsam des Ex-Justizministers Jaroslaw Gowin (einst PO) und Solidarisches Polen von Kaczyńskis Ex-Justizminister Zbigniew Ziobro (2005 bis 2007), hätte er keine absolute Mehrheit erreicht.

Wirtschafts- und Finanzminister könnte der angesehene und parteipolitisch ungebundene Banker Mateusz Morawiecki werden. Auch Kaczyńskis vormaliger Vizeschatzminister Pawael Schalamacha zählt zu den Favoriten. Als Außenminister wird der gemäßigte Kazimierz Ujazdowski gehandelt. Eine Revolution in der Außenpolitik dürfte nicht nur deshalb ausbleiben. Zu den Brüsseler Verhandlungen würden meist Ujazdowksi, Premierministerin Szydlo oder Präsident Andrzej Duda reisen. Vor allem Letzterer gilt als weltoffen und sprachgewandt. Auch kennt er Brüssel wie seine Westentasche. Die First Lady ist zudem eine Deutschlehrerin jüdischer Abstammung. Dies dürfte den deutsch-polnischen Beziehungen zugutekommen. Ein Rückfall in die Streitereien, Beleidigungen und Reparationsforderungen der beiden Kaczyński-Zwillinge ist kaum möglich. Auch wenn sowohl Duda als auch Szydlo Lech Kaczyński als ihr Vorbild nennen. Zugleich dürfte Warschau aber künftig mehr auf einem eigenen Standpunkt beharren und sich weniger als bisher direkt mit Berlin absprechen.

Kein Euro in Sicht

Auch in der Frage der Euro-Einführung ändert sich wenig. Die bisher regierende Bürgerplattform hatte das Zieldatum einer Übernahme der Gemeinschaftswährung immer wieder hinausgezögert, zumal klar wurde, dass ein solcher Schritt in der Bevölkerung unpopulär ist. Kaczyńskis PiS und auch Staatspräsident Duda haben ein Referendum über eine allfällige Einführung gefordert. Allerdings erfüllt Polen seit Jahren nicht einmal die Maastricht-Kriterien. Hält die PiS an ihren sozialen Wahlversprechen fest, so wird sich die Verschuldung und damit auch die Inflation eher weiter erhöhen. Der Euro rückt damit für Polen immer weiter in die Ferne.

In der Flüchtlingskrise dürften die polnischen Emissäre in Brüssel auf die Pauke hauen, wie dies übrigens lang auch die PO-Regierung getan hat. Die PiS wetterte im Wahlkampf machtbewusst und geschickt gegen die Aufnahme muslimischer Flüchtlinge. Dass sie sich den zugesagten Zahlen nun verweigert, ist jedoch nicht zu erwarten. Der Wahlkampf ist vorbei, die Mehrheit gewonnen. Dazu kommt, dass das Episkopat zwar die rechtsnationale Wende unterstützt hat, aber auch immer wieder zur Aufnahme von Flüchtlingen aufgerufen hat. In der Ukraine-Krise wird Polen unter Kaczyński auf harten Sanktionen gegen Russland beharren. Zwar mag Ungarns Premier Viktor Orbán ein Vorbild Kaczyńskis sein.

„Der Tag wird kommen, an dem wir in Warschau ein zweites Budapest haben werden“, hat Kaczyński 2011 erklärt. Doch die Zuneigung für Orbán erstreckt sich nicht auf die Außenpolitik. Dem PiS-Chef gefallen zwar autoritäre Methoden, doch wird dies den Polen nicht zum Kreml-Verbündeten machen. Kaczyński scheint davon überzeugt zu sein, dass sein Zwillingsbruder Lech 2010 in Smolensk einem russischen Attentat zum Opfer gefallen ist.

Turbulenzen auf den Finanzmärkten?

Die PiS will Polen außenpolitisch stärker in Osteuropa integrieren und andere Bündnisse, wie etwa das Weimarer Dreieck (Frankreich, Polen, Deutschland) weniger pflegen. In den Wahldebatten ist Szydlo aber eine Erklärung schuldig geblieben, wie sich das dezidiert antirussische Polen in der Visegrad-Gruppe (Ungarn, Tschechien, Slowakei, Polen) besser integrieren könne. Die prorussische Haltung Budapests und mit Einschränkungen auch Bratislavas und Prags stehen Warschaus Bedürfnissen entgegen.

Die größten Turbulenzen sind auf den Finanzmärkten zu erwarten. Löst die PiS ihre Wahlversprechen einer neuen Bankensteuer ein und entschuldet gar auf Kosten der Kreditinstitute die rund 700.000 Frankens-Schuldner – beides nach dem Vorbild Orbáns in Ungarn – dürfte sich Warschau massive Kritik einfahren. Auch Pläne einer Supermarktsteuer dürften in Wirtschaftskreisen auf wenig Verständnis stoßen. Optimisten hoffen, Kaczyński werde vorzeitig gegensteuern und einen kompetenten Wirtschafts- und Finanzminister berufen, statt nur auf Parteibuch und Loyalität wie im Fall Szydlos zu schauen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2015)

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