Flüchtlingsfrauen: "Die fehlende Freiheit war das Problem"

Symbolbild muslimische Frau mit Kopftuch
Symbolbild muslimische Frau mit KopftuchTeresa ZÖTL
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Vier Flüchtlingsfrauen in Wien erzählen, wie sie in ihrer Heimat behandelt wurden.

„So etwas vergisst du nicht. Das hast du immer im Kopf“, sagt Mariam (Name geändert). Für einen Augenblick scheint es, als wäre die Iranerin nicht im Raum. Ihr Blick wandert ins Leere. Dann atmet sie tief durch, setzt wieder ihr Lächeln auf und erzählt, was sich vor 15 Jahren ganz in der Nähe ihres Elternhauses in Irans Hauptstadt Teheran abgespielt hat. „Ich war mit meiner Schwester unterwegs, als der Mann auf dem Fahrrad kam.“ Der Fremde hielt sie fest, berührte ihren Rücken, dann ihre Brüste. 16 Jahre war sie damals alt. Mariam riss sich los, sprang über einen nahen Bach und lief weinend und schluchzend nach Hause.

Sie erzählte den Eltern, was passiert war. Der Vater wollte sofort los, den Mann finden und vor Gericht zerren. Die Mutter flehte ihn an, das nicht zu tun. Sie trieb die Angst um, dass am Ende nicht der Täter, sondern ihre Tochter Probleme bekommen würde. „Es war so typisch“, sagt die 31-jährige Mariam. „Diese Männer werden nie gefasst und verurteilt. Du hast als Frau in einem Prozess so gut wie keine Chance.“ Mitunter würden Frauen sogar davor zurückschrecken, Angreifer mit Gewalt in die Flucht zu schlagen – aus Angst, am Ende selbst vor Gericht zu landen.

„Jede hat so eine Geschichte.“
Wut mischt sich nun in Mariams Stimme: über die Ohnmacht, die sie damals vor 15 Jahren empfunden hat. „Aber ich bin sicher, jede Frau im Iran hat so eine Geschichte. Viele davon sind schlimmer als meine“, sagt die Studentin und Malerin. Anfang Mai setzt sich Mariam in einen Flieger nach Österreich. Sie verlässt die Islamischen Republik Iran. „Für immer.“

Ausgehzeiten. Vier nach Wien geflüchtete Frauen haben der „Presse am Sonntag“ erzählt, wie es um ihre Rechte in ihrer Heimat bestellt war. Sie lebten in Syrien, dem Irak und eben im Iran. Es sind mitunter sehr persönliche Lebensgeschichten. Sie gleichen sich nicht. Doch es gibt eine Konstante: Frei fühlte sich keine der vier Frauen.

Die Irakerin Narjis schon gar nicht. „Ich musste jeden Tag um 17 Uhr zu Hause sein“, sagt die 24-Jährige. Die Familie habe ihr immer wieder erklärt, das sei nur „zu ihrer eigenen Sicherheit“. Narjis schüttelt den Kopf, als wüsste sie, dass es noch andere Gründe gegeben hat. Einen Job nach dem anderen hat sie verloren, weil sich die Ausgeh- und die Arbeitszeiten auf Dauer nicht vereinbaren ließen. Die Irakerin mit dem Wunschberuf Journalistin erinnert sich, wie Fremde in Bagdads Straßen regelmäßig zudringlich wurden, ihr ungefragt Handynummern zusteckten. Narjis faltet die Hände wie zu einem Dankgebet: „Das Schönste hier in Österreich ist: Ich kann auf der Straße gehen, ohne angesprochen oder um meine Telefonnummer gefragt zu werden.“

Streit um das Kopftuch.
„Frauen können hier in Österreich alles tun“, sagt auch ihre irakische Landsfrau Hanaa. Die 46-Jährige entspricht so gar nicht dem Klischee einer muslimischen Frau im Irak. Hanaa ist weder verheiratet, noch trägt sie ein Kopftuch. Warum nicht? Die Frau winkt genervt ab: „Das Kopftuch war nicht das Problem. Die fehlende Freiheit war es.“ Die gleichaltrige Shenyaa, die Hanaa gegenübersitzt, schüttelt energisch den Kopf: „Das Kopftuch ist ein Problem! Ich habe es gehasst.“ Ihre schulterlangen blondierten Haare streicht sie dabei demonstrativ zurück.

Die vierfache Mutter Shenyaa kommt wie Hanaaaus dem Irak, acht Jahre lang lebte sie in Syrien. Das zweite Leben gefiel ihr dabei besser. Anders als im Irak durfte sie in Syrien das Kopftuch ablegen. Anfangs jedenfalls. „Und ich konnte mit meinen Töchtern hingehen, wohin ich wollte, und so lange draußen bleiben, wie ich Lust dazu hatte.“ Ein Stück Freiheit, wie es die irakische Hausfrau bis dahin nicht kannte.

Doch dann kam der Krieg nach Syrien und in dessen Gefolge auch islamistische Kämpfer. Shenyaa fing wieder an, den sogenannten Hijab zu tragen. Aus Angst. Sie hatte im Irak die Geschichten über Frauen gehört, die von Fanatikern getötet wurden, weil sie falsch gekleidet waren. Das Stück Freiheit in Syrien war wieder weg.

„Fühlte mich nie sicher.“ Die Iranerin Mariam hat etwas Rouge aufgelegt, die Nägel dunkelblau lackiert, nichts Aufreizendes: Im Iran wäre sie so nicht auf die Straße gegangen, sagt die 31-Jährige. Sie hätte Angst gehabt, dass ihr sofort Männer nachstellen, obwohl sie in Teheran anders als in Wien das schwarze Haar in ein Kopftuch gehüllt hatte. „Das Schlimmste war für mich immer,, dass ich mich auf offener Straße nicht sicher fühlte“, sagt Mariam.

Es blieb nicht bei dem Zwischenfall mit dem Radfahrer, der ihr als 16-Jährige auflauerte. Mehrmals spürte sie, wie in einer Menge fremde Männer sie von hinten berührten. „Ich drehte mich immer sofort um. Aber wer der Täter waren, konnte ich im Getümmel nie sagen.“ Nach 20 Uhr ging sie jedenfalls nicht mehr allein auf die Straße.

Lange ausgehen, die Haare offen tragen, Spaziergänge ohne männliche Zurufe: Für Mariam, Narjis, Shenyaa und Hanaa sind das nun alles kleine Schritte – in die Freiheit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2016)

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