Flexibel – auch bei Kürzung bestehender Pensionen: So reagiert das Rentensystem im Norden Europas. Das Budget wird nicht zusätzlich belastet. Politiker müssen keine unbequemen Entscheidungen treffen.
Stockholm. Schweden wird in der österreichischen Debatte über das Pensionssystem von ÖVP, Neos und manchen Experten, wie beispielsweise Agenda-Austria-Chef Franz Schellhorn, als Vorbild genannt. Schwedens Sozialdemokraten und bürgerliche Parteien haben das großzügige, auf geringe soziale Unterschiede Wert legende Rentensystem im Jahr 1999 nämlich radikal reformiert – weil es schlichtweg unbezahlbar wurde.
Zum einen besteht heute in Schweden eine Grundsicherung. Bei Pensionsbezügen unter dem Existenzminimum greift eine Garantiepension von bis zu rund 7863 Kronen (840 Euro) im Monat. Im Bedarfsfall wird auch Wohngeld ausbezahlt. Denn die Lebenshaltungskosten sind in Schweden insgesamt relativ hoch.
Als wichtigste Säule des Pensionssystems gilt die einkommensabhängige Pension: Sie ist an Pensionsbeiträge gebunden, die sich der Arbeitnehmer mit seinem Arbeitgeber teilt. Zusammen betragen sie 18,5 Prozent. Davon werden 16 Prozent direkt an die heutigen Pensionisten weitergegeben. Die Höhe der Pension aus diesem Teil berechnet sich – statt wie früher aus den 15 besten Einkommensjahren – aus allen Lebenseinkommensjahren kumuliert.
Wie viel Pension über das Umlageverfahren tatsächlich ausgezahlt wird, ist jedoch nicht fix garantiert. Eine mathematische Formel reguliert die Höhe. Pensionsbezüge werden automatisch sogar gekürzt, wenn sich die konjunkturelle Entwicklung Schwedens verschlechtert und wenn die Lebenserwartung der Pensionisten steigt.
Anreiz zu längerem Arbeiten
Die restlichen 2,5 Prozent, die nicht direkt ins Umlageverfahren gehen, müssen Arbeitnehmer in Kapitalmarktfonds anlegen. Dabei können die Bürger selbst die Produktanbieter auswählen. Viele Pensionsfonds haben freilich in den vergangenen Jahren massive Verluste gemacht.
Zudem wurde ein gleitendes Pensionseintrittsalter eingeführt, damit Menschen länger arbeiten. Der Pensionseintritt ist zwar ab 61 Jahren möglich, dann aber mit kräftigem Abschlag. Jedes extra Arbeitsjahr bringt laut Rentenbehörde zwischen sieben und acht Prozent mehr Pension auf die Pension mit 61.
Die Vorteile der Reform:
• Die Pension ist fast vollständig vom Staatshaushalt entkoppelt und soll auch in Zukunft ohne Steuerzuschüsse finanzierbar sein.
• Es soll keine weiteren Beitragssatzerhöhungen geben.
• Politiker müssen keine unpopulären Beschlüsse mehr treffen, weil Pensionsbezüge automatisch gekürzt werden.
Der Nachteil: Die Pensionshöhe ist unsicher. „Das Rentenniveau kann im ungünstigen Fall unter die 50-Prozent-Marke sinken“, warnt Ex-Versicherungsanstaltschef Karl Gustaf Scherman im Gespräch mit der „Presse“.
Übrigens: Eine auf ähnlichen Prinzipien beruhende Pensionsreform konnte Ex-US-Präsident Georg Bush sen. in seiner Amtszeit nicht umsetzten, weil die gewerkschaftliche Opposition sie als zu marktliberal bewertete. In Schweden wurde sie möglich, weil die vom rechten Flügel gesteuerten Sozialdemokraten mit den Gewerkschaften eng verbunden sind.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2016)