Pekings Kampagne: „Hart zuschlagen und bestrafen“

Pekings Kampagne: „Hart zuschlagen und bestrafen“
Pekings Kampagne: „Hart zuschlagen und bestrafen“(c) AP (Andy Wong)
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Mit Exekutionen will China in der westlichen Unruheregion für Ruhe sorgen. Die neun Hingerichteten gehören zur ersten Gruppe von 21 Personen, die Mitte Oktober unter anderem wegen Mordes verurteilt worden waren.

Peking. Vier Monate nach den schweren ethnischen Unruhen zwischen Uiguren und Han-Chinesen in der westchinesischen Grenzregion Xinjiang sind die ersten neun Todesurteile vollstreckt worden. „Kriminelle, die für die Toten des 5. Juli verantwortlich waren“, seien „nach Recht und Gesetz“ bestraft worden, erklärte Regierungssprecher Qin Gang in Peking.

Zuvor hatten örtliche Behörden bekannt gegeben, dass die neun Todeskandidaten „nacheinander exekutiert“ worden seien. Der Oberste Gerichtshof habe die Urteile bestätigt. Der genaue Zeitpunkt und weitere Details wurden allerdings nicht bekannt.

Am 5. Juli hatten in Xinjiangs Hauptstadt Urumqi plötzlich Uiguren Angehörige der Volksgruppe der Han-Chinesen angegriffen. Geschäfte und Autos wurden in Brand gesetzt. Bald darauf kam es zu Racheaktionen von Han-Chinesen gegen Uiguren. Insgesamt starben in jenen Tagen nach offiziellen Angaben 197 Menschen, darunter 134 Han-Chinesen. Die Regierung beschuldigte die Exil-Uigurin Rebiya Kadeer, zu Gewaltaktionen aufgerufen zu haben, was die 62-Jährige bestreitet.

Die neun Hingerichteten gehören zur ersten Gruppe von 21 Personen, die Mitte Oktober wegen „Mordes, Brandstiftung und anderer Verbrechen“ verurteilt worden waren. Den Namen nach gehörten sieben der Hingerichteten zur uigurischen Volksgruppe, die heute in Xinjiang rund 40 Prozent der Bevölkerung stellt. Gegen weitere 20 Personen sei inzwischen Anklage erhoben worden, heißt es.

Bürgerrechtler im In- und Ausland fürchten, dass auch diese Verhandlungen nicht fair sein werden. Die letzten Todesurteile fielen innerhalb von wenigen Stunden. Die Angeklagten hatten nicht das Recht, sich eigene Verteidiger zu wählen. Chinesische Anwälte, die auf politisch heikle Fälle spezialisiert sind, waren von vornherein von den Behörden gewarnt worden, die Finger von diesen Prozessen zu lassen. Die Richter mussten sich vor dem Prozess politisch schulen lassen.

Instabile Peripherie

Die Ereignisse in Urumqi warfen ein Schlaglicht auf die instabile Lage in Chinas Grenzregionen: Über ein Jahr vorher, am 14. März 2008, hatten Tibeter in Lhasa ebenfalls Zuwanderer aus anderen Teilen des Landes angegriffen, meisten Han-Chinesen. Dabei kamen zwanzig Menschen ums Leben.

Trotz großer kultureller und historischer Unterschiede zwischen den buddhistischen Tibetern und den muslimischen Uiguren haben beide Regionen eines gemeinsam: Viele Bewohner fühlen sich wirtschaftlich und sozial benachteiligt. Sie werfen den zugewanderten Han-Chinesen vor, ihnen nicht nur Geschäfte und Arbeitsplätze wegzunehmen, sondern sie auch ihrer kulturellen Identität zu berauben. Wer sich beklagt, muss mit dem Vorwurf rechnen, ein „Separatist“ zu sein.

Die Zentralregierung und ihre örtlichen Funktionäre versuchen unterdessen, in Urumqi Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Zahlreiche Einheiten der bewaffneten Polizei – eine Untereinheit der Armee – sind in der Region stationiert worden. Noch immer ist das Internet in Xinjiang für die Bevölkerung weitgehend blockiert. Um wirtschaftlich überleben zu können, haben einige Firmen ihre Büros in Nachbarprovinzen verlegt.

Nach dem Motto „Hart zuschlagen und bestrafen“ sollen die Sicherheitskräfte „die Früchte der Bewahrung von Stabilität konsolidieren und Sicherheitsgefahren beseitigen“, kündigte die „Volkszeitung“ Anfang November an. Man konzentriere die Suche auf Teilnehmer der Unruhen und auf Personen, die Terrorakte vorbereiteten, hieß es.

Solche auch offiziell „Hart zuschlagen“ genannte Kampagnen haben in der Vergangenheit dazu geführt, dass Verdächtige besonders schnell abgeurteilt werden – häufig in Massenprozessen. Mit derartigen Kampagnen sollen aber auch Kritiker in der Bevölkerung besänftigt werden, die der Regierung vorwerfen, sie nicht ausreichend zu beschützen.

43 Verdächtige „verschwunden“

Im August waren in Urumqi tausende Menschen – überwiegend Han-Chinesen – auf die Straße gegangen, weil die Behörden ihrer Ansicht nach zu lange brauchten, um die Schuldigen der Juli-Unruhen zu bestrafen.

Die erzürnte Bevölkerung forderte, den Parteichef der Region, Wang Lequan, abzusetzen. Doch der ist nach wie vor in Amt und Würden. An seiner statt mussten der Polizeichef von Xinjiang und der Parteichef von Urumqi gehen. Wie viele Verdächtige noch in Haft sind, ist umstritten: Offizielle Zahlen sind widersprüchlich. Gegen „hunderte“ Verdächtige werde noch ermittelt, heißt es. Viele Uiguren sind aber davon überzeugt, dass die Zahl der Festgenommenen weitaus größer ist als angegeben.

Über ein besonders dunkles Kapitel berichtete kürzlich die internationale Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“: Danach sind mindestens 43 festgenommene Männer bisher spurlos verschwunden.

AUF EINEN BLICK

Uiguren bilden das größte mehrheitlich islamische Turkvolk im autonomen Gebiet Xinjiang im Westen Chinas. Das Gebiet ist reich an Rohstoffen und eine wichtige Energie-Transitroute. Wie die Tibeter fühlen sich die Uiguren gegenüber den Han-Chinesen gesellschaftlich benachteiligt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2009)

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