Israel: Sturm auf Gaza-Schiff endet im Desaster

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Heftige Kritik an Jerusalem nach der blutigen Kommandoaktion gegen eine internationale Hilfsflottille propalästinensischer Aktivisten. Dabei gab es mindestens neun Tote. Türkei spricht von "Staatsterrorismus".

Jerusalem. Es war Montag, vier Uhr morgens, als sich Mitglieder des israelischen Elitekommandos „Shayatet 13“ von Hubschraubern auf das unter türkischer Flagge fahrende Schiff „Mavi Marmara“ abseilten. In dramatischen Videobildern ist zu sehen, wie einer der bewaffneten Kommando-Soldaten mit Prügeln geschlagen wird, sobald er an Deck ist. Später sind in den Videos Schüsse zu hören, Verletzte sind zu sehen.

Der Auftrag der israelischen Kommando-Soldaten war es gewesen, das türkische Flaggschiff eines Hilfskonvois für Gaza, die „Mavi Marmara“ mit 581 propalästinensischen Aktivisten an Bord, unter Kontrolle zu bringen und in den israelischen Hafen Ashdod umzuleiten. Bei der in internationalen Gewässern durchgeführten Operation kamen offiziellen Informationen zufolge mindestens neun Menschen ums Leben, auf dem arabischen Nachrichtensender al-Jazeera ist von 19 Toten die Rede. „Die Soldaten haben ihre Schusswaffen eingesetzt, um sich selbst zu retten“, kommentierte einige Stunden später der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak.

Gaza-Blockade

Israel hat nach der Machtübernahme der radikalislamistischen Palästinenserorganisation Hamas im Juni 2007 eine Blockade über den Gazastreifen verhängt. Damit soll der Druck auf die Hamas erhöht werden, Raketenangriffe zu unterbinden. Nur mehr dringend benötigte humanitäre Hilfe darf in das Gebiet importiert werden, die Einfuhr nahezu aller Rohstoffe ist verboten. Die UNO kritisiert die Blockade als unverhältnismäßig.

Bisherige Lieferungen unbehelligt

In der Vergangenheit hatte Israel trotz des Embargos Schiffe der Bewegung „Free Gaza“ an der palästinensischen Küste anlegen lassen. Das erste Schiff war im August 2008 mit Hilfsgütern für den von der Außenwelt abgeschnittenen Gazastreifen in See gestochen.

Das Bündnis verschiedener propalästinensischer Gruppen kämpft für ein Ende der Blockade. Die „Stimme Israels“ ließ Greta Berlin zu Wort kommen, eine britische Bildhauerin, die von Zypern aus als Sprecherin des Konvois fungiert.

„Wir wussten, dass Israel unsere Ladungen niemals weiterleiten würde“, erklärte sie, da es sich um Produkte handelte, die „zu den 2000 Waren gehören, deren Einfuhr Israel in den Gazastreifen verbietet, wie Beton und Papier“. Greta Berlin sprach von einem „kaltblütigen Mord an Zivilisten“.

Die israelische Armeeführung wies die Vorwürfe zurück und berichtete umgekehrt von einer gezielten Provokation. Die Soldaten seien „mit ungewohnt harter Gewalt“ empfangen worden, erklärte Marine-Chef Eliesar Meron vor Journalisten in Tel Aviv. Dabei seien „kalte und heiße Waffen“ eingesetzt worden.

„Mit Äxten bekämpft“

Von Äxten und sogar von Schusswaffen war die Rede. Sicher ist, dass einige der verletzten Soldaten mit Schuss- und Stichwunden ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Offenbar hatten sich einige Soldaten durch einen Sprung ins Wasser gerettet. „Unsere Kämpfer gingen mit Mut und mit Zurückhaltung vor“, sagte der Marine-Chef, nur so sei zu verhindern gewesen, dass es noch mehr Tote und Verletzte gegeben habe.

Obschon die gesamte Militärführung nur Worte des Lobes für die Soldaten fand, zeichnete sich schon gestern das Ausmaß der diplomatischen Katastrophe ab. Der UN-Sicherheitsrat trat noch am Montag auf Antrag der Türkei und des Libanons zu einer Sondersitzung zusammen, wobei der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu das israelische Vorgehen schärfstens kritisierte.

Zwei Drittel der Aktivisten des Konvois stammen aus der Türkei. Der Kampf um die internationale Öffentlichkeit hat begonnen, wobei einer der Analytiker schon gestern beklommen festgestellt hat, dass diese Affäre, „das Allerletzte war, was Israel brauchte“.

''Free Gaza''

Die internationale Organisation "Free Gaza" will nach eigenen Angaben mit Hilfsgütern die palästinensische Bevölkerung des Gazastreifens unterstützen. Solidaritätsfahrten von Schiffen sollen auch öffentlichkeitswirksam auf die Blockade des Gebiets durch Israel hinweisen. Mehrfach wurden Konvois mit Dutzenden bis Hunderten Aktivisten an Bord und prominenten Unterstützern organisiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2010)

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