Karl Schwarzenberg: "Ein Haufen unwichtiger Länder"

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sind Haufen unwichtiger Laender(c) Michaela Bruckberger
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Tschechiens neuer Außenminister Karl Schwarzenberg über seine Ablehnung des AKW Zwentendorf, den Ausbau von Temelín, die menschenrechtswidrigen Beneš-Dekrete und über sein Familienwappen.

Über den Fotografen in seinem Büro ist Karl Schwarzenberg gar nicht erfreut. Fotos ja, wenn es denn sein muss, aber schnell oder während des Interviews. Extra posieren will der neue tschechische Außenminister nicht. Dafür hat er keine Zeit. Jeder will jetzt mit ihm sprechen. Seine Besucher empfängt der Fürst im Zehn-Minuten-Takt. Herzlich und leger – im blau-weiß gewürfelten Hemd. Ein Tribut an die Hitze. Im ehrwürdigen Palais Czernin, dem Sitz des Außenministeriums auf dem Hradschin, gibt es keine Klimaanlage.

Seit Dienstag erst ist Schwarzenberg im Amt. Für den 72-Jährigen ist es eine Rückkehr. Er war schon einmal tschechischer Außenminister. Von Jänner 2007 bis Mai 2009. Damals hatten ihn die Grünen nominiert. Diesmal stellte er sich selbst auf: Mit seiner neu gegründeten konservativen Partei TOP09 schaffte Schwarzenberg bei der Parlamentswahl Ende Mai auf Anhieb fast 17 Prozent. Damit wurde er zum Königsmacher einer rechtsliberalen Koalition, die ODS-Chef Petr Nečas als Premier anführt und der auch die Protestpartei „Öffentliche Angelegenheiten“ des ehemaligen Fernsehmoderators Radek John angehört.

In der Regierung, deren Außenminister Sie sind, findet sich keine einzige Frau. Ist die Tschechische Republik die letzte Macho-Bastion Europas?

Karl Schwarzenberg: Ach, wo. Das hat sich so ergeben, wie das nun einmal ist im Leben. Unsere Partei hatte eine Ministerkandidatin, doch es kam anders. Im Parlament sind Frauen sehr gut in Führungspositionen vertreten.

Das letzte Mal wollte Sie Präsident Václav Klaus anfangs gar nicht als Außenminister angeloben, weil Sie halber Österreicher seien. Ging die diesmalige Angelobung ganz ohne spitze Nebenbemerkungen ab?

Auch ein Präsident wie Václav Klaus gewöhnt sich an alles, sogar an mich.

Auf welche Begegnungen freuen Sie sich besonders als Außenminister?

Auf keine. Ich will, ehrlich gesagt, nur noch Urlaub machen, nach all den Monaten des Wahlkampfs und der Koalitionsverhandlungen.

Urlaub? Nächste Woche stehen Ihre Antrittsbesuche in Berlin und Wien an. Wann bleibt da Zeit für Urlaub?

Ich hoffe, im August.

Gibt es auch Aussichten, die Ihnen in Ihrer neuen Funktion regelrecht Unbehagen bereiten?

Wir sind angetreten als eine Regierung, die den Haushalt sanieren will. Da muss ich natürlich auch im eigenen Ressort sparen. Das ist unangenehm. In den kommenden Wochen werden wir alle Ausgaben durchforsten.

Rechnen Sie mit Protesten gegen das Sparprogramm der Regierung?

Natürlich kann es dazu kommen. Aber man muss zwischen angeblichen und tatsächlichen Härtefällen unterscheiden.

Und wie unterscheiden Sie da?

Tatsächlich hart wird es, wenn Bürger getroffen werden, die am Existenzminimum leben. Unsere Regierung wird mit Feingefühl vorgehen.

Im Regierungsabkommen ist auch ein Ausbau des Atomkraftwerks Temelín vorgesehen. Stellen Sie sich schon auf entsprechende österreichische Erregungszustände ein, wenn Sie nächsten Donnerstag nach Wien kommen, um Außenminister Michael Spindelegger zu treffen?

Es wird natürlich wieder ein paar Leute geben, die sich aufregen. Wir sind bereits in Kontakt mit der österreichischen Regierung. Wir wollen das Thema auf einer sachlichen Ebene halten.

Sie haben einmal die Temelín-Gegner als Spinner bezeichnet. Das lässt den Schluss zu, dass Sie nicht besonders viel Verständnis haben für sie.

Ich hatte eine Nähe zu den Grünen und kenne die Argumente der Atomkraftgegner sehr gut. Natürlich gibt es wünschenswertere Energieformen. Doch wir haben keine Alternative zur Atomenergie. Bevor der Strom aus der Steckdose kommt, muss er noch von woanders kommen. Können Sie mir sagen, woher wir den Strom beziehen sollen? Wir können weder Gazprom noch die Innkraftwerke übernehmen. Und auf Braunkohle allein können wir uns auch nicht verlassen. Wir brauchen die Atomkraft.

1978, als Sie in Österreich lebten, waren Sie aber gegen Zwentendorf, nicht wahr?

Ich war dagegen, aber Österreich hat die Donau und die Alpen und damit auch Alternativen zur Atomkraft.

Hat Österreichs Kampf gegen das Atomkraftwerk Temelín Ihrer Ansicht nach auch irrationale Elemente?

Und ob. Es ist zum Beispiel völliger Unsinn zu behaupten, Temelín sei ein Schrottkraftwerk. Seltsamerweise regt sich niemand über die bayerischen Atomkraftwerke auf, obwohl sie viel älter sind und auch in einer ungünstigeren Windrichtung liegen. Doch das ist dann deutsche Qualitätsarbeit.

Im Wappen Ihrer Familie steht „Nil nisi rectum“. Das heißt so viel wie „Nur das Richtige“.

Nein, nein, es heißt: „Nur geradeaus“ oder „Nur das Rechte“. Und eine medizinische Übersetzung gibt es auch noch (lacht).

Ich wollte darauf hinaus, dass Sie die Beneš-Dekrete, auf deren Grundlage hunderttausende Sudetendeutsche vertrieben wurden, einmal in einem Interview als menschenrechtswidrig bezeichnet haben ...

... das waren sie auch.

Und warum haben Sie dann nie die Aufhebung der Beneš-Dekrete gefordert?

Weil das nicht geht. Weil das ex tunc (rückwirkend, Anm.) nicht möglich ist, ebenso wenig wie beim Münchner Abkommen (das 1938 den „Anschluss“ des Sudetenlandes an Nazideutschland zur Folge hatte, Anm.). Man kann die Geschichte nicht rückgängig machen. Ich bin kein Anhänger der Politik des Gestern. Wir sollten gemeinsam in die Zukunft blicken.

Expräsident Václav Havel hat klare Worte der Scham über die Gräuel bei der Vertreibung der Sudetendeutschen gefunden. Wäre nicht wieder zumindest ein derartiges Symbol der Versöhnung fällig, etwa eine Erklärung des tschechischen Parlaments?

Mit Symbolen ist das so eine Sache. Man sollte sie sparsam einsetzen. In Österreich oder auch in Deutschland wird oft vergessen, dass hier bereits heftige Debatten über die Vergangenheit im Gang sind. Vor allem junge Leute fragen, was damals passiert ist. Vor Kurzem lief eine Dokumentation im tschechischen Fernsehen. In Aussig gibt es erstmals eine Ausstellung über Sudetendeutsche. Es ist etwas in Bewegung geraten.

Warum löste Bundespräsident Heinz Fischer dann auf politischer Ebene Aufschreie der Empörung aus, als er die Beneš-Dekrete als Unrecht bezeichnete und damit beim Namen nannte?

Wir müssen uns selbst der Vergangenheit stellen. Interventionen von außen bringen da nicht viel. Auch in Österreich dauerte es übrigens längere Zeit, bis eine Vergangenheitsbewältigung in Gang kam.

Ich bin mit dem Zug nach Prag gekommen. Das dauert fast fünf Stunden, auch auf der Straße geht es nicht viel schneller. Ist das eine Art Metapher für die ausbaufähigen Beziehungen zwischen Österreich und Tschechien?

Ich weiß auch nicht, warum wir noch immer keine direktere Zugverbindung haben und man von Wien nach Prag länger braucht als weiland unter Kaiser Franz Joseph.

Nach 1989 haben sich einige österreichische Politiker der Vorstellung hingegeben, Österreich könne eine Führungsrolle in Mitteleuropa spielen. Warum ist daraus trotz wirtschaftlicher Erfolge nichts geworden?

Nach 1989 hat sich die österreichische Politik zunächst auf die Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft konzentriert, auch Jörg Haider, bevor er dann umschwenkte. Mit den armen Verwandten im Osten wollte niemand etwas zu tun haben. Und auch dass Prag westlich von Wien liegt, wollte keiner wahrhaben.

Und jetzt ist der Zug abgefahren.

Ach, wissen Sie: Ob Ungarn, Österreicher und Tschechen – alle haben sich irgendwann einmal eingebildet, eine besondere Rolle spielen zu müssen. Das ist eigentlich immer gescheitert. Wir schwimmen alle im selben Mitteleuropa-Topf.

Kann Mitteleuropa denn etwas Gemeinsames einbringen in die EU? Oder ist der Begriff Mitteleuropa nur noch für Kulturtheoretiker mit Hang zur Nostalgie relevant?

We are all a bunch of small and unimportant countries – wir sind ein Haufen kleiner und unwichtiger Länder –, und deshalb sollten wir nach Möglichkeit zusammenarbeiten, wie das zum Teil beim Aufbau des Europäischen Auswärtigen Dienstes passiert ist. Alleine schafft keiner von uns große Sprünge.

Früher waren es Frankreich und Deutschland, die den europäischen Karren zogen. Doch jetzt versinken Präsident Nicolas Sarkozy und Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihren eigenen ganz persönlichen Krisen.

Deutschland ist seit der Wiedervereinigung unumstritten die größte wirtschaftliche und politische Macht in Europa. Und es ist eben ein Unterschied, ob deutsche Bundeskanzler aus dem Rheinland wie Konrad Adenauer und der Pfalz wie Helmut Kohl kommen (aus der Nähe Frankreichs, Anm.). Oder aus Niedersachsen wie Gerhard Schröder und der ehemaligen DDR wie Angela Merkel. Die Welt sieht vom Rhein anders aus als von der Spree. Von Berlin aus liegen auch St. Petersburg und Moskau näher.

Sie meinen also, Deutschland orientiert sich stärker nach dem Osten als früher?

Stärker in Richtung Russland.

Fehlt es Europa an großen Persönlichkeiten?

Nur herausfordernde Zeiten bringen große Persönlichkeiten wie Winston Churchill oder Charles de Gaulle hervor. Es war die Kriegserfahrung, die sie und andere dazu trieb, ein neues Europa aufzubauen. Ihr oberstes Ziel war es, nie wieder Krieg zuzulassen. Das nehmen heute viele für selbstverständlich.

Ist die Finanzkrise nicht Herausforderung genug, um große Persönlichkeiten hervorzubringen?

Das ist vor allem eine moralische Krise. Das wollen viele nicht wahrhaben. Hinter der Krise des Kapitalismus steckt eine moralische Krise.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2010)

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