Jahrelang hat sich der Clan von Ex-Diktator Ben Alis Frau Leila hemmungslos mit mafiösem Geschäftsgebaren bereichert: Kein lukratives Geschäft lief ohne sie. Jetzt sitzen 33 Mitglieder der "Familie" in Haft.
Das Schild der Werbeagentur im Zentrum von Tunis ist abgeschraubt, so als hätte es sie nie gegeben: „Bien Vue“ war eines der Unternehmen in den Händen der berüchtigten Trabelsi-Familie. Der Clan von Leila Trabelsi, ihres Zeichens Frau von Tunesiens vertriebenem Diktator Zine el-Abidine Ben Ali, hatte die gesamte tunesische Wirtschaft kontrolliert.
Al-Aila – „die Familie“ – haben die Tunesier den Clan schlicht genannt. Die zehn Geschwister der First Lady, Kinder und angeheiratete Schwiegersöhne und -töchter haben mit mafiösem Geschäftsgebaren das Land ausgesaugt. 33 Mitglieder der Familie sind rund um die Flucht Ben Alis verhaftet worden, gab die Übergangsregierung in der Nacht auf Donnerstag bekannt. Ein Pilot der Linienmaschine nach Lyon, der partout mit dem Start nicht auf Familienmitglieder Ben Alis warten wollte – und das lag nicht an deren Übergepäck – wird als Held gefeiert.
Vor der Werbefirma steht derweil der ehemalige Pförtner und beschwert sich lautstark darüber, dass er sein letztes Gehalt nicht bekommen habe. Das Gitter ist offen, aber die Tür dahinter zu, man reagiert auf kein Klopfen. Die Profiteure der Diktatur von gestern wollen heute Journalisten keine Fragen beantworten.
„Die Familie war die Mafia“
Dagegen kann Zied Elheni endlich laut darüber reden, womit er sich seit Jahren im Stillen beschäftigt hat: der Korruption der Diktatur im Allgemeinen und der einstigen First Lady im Speziellen, die vom bescheidenen Hintergrund als Friseuse nach ihrer Heirat mit dem mächtigsten Mann des Landes ihre Großfamilie schnell zum reichsten Clan des Landes gemacht hatte.
„Die Familie Trabelsi war nicht wie die Mafia, sie war die Mafia. Sie hat ihre Macht genutzt, um sich an allen lukrativen Geschäften zu beteiligen“, erklärt Elheni. Erst am Dienstag hat er in Tunis eine neue Organisation mit Namen „Transparency Tunisienne“ ins Leben gerufen. Die Gründungsveranstaltung war in die Zentrale der Bank al-Fellahi verlegt worden, als Elehin am gleichen Tag einen Anruf von einer aufmerksamen Bankangestellten erhielt, dass Vertreter der alten Regierung in der Bank aufgetaucht seien und die Herausgabe von Akten forderten. Elheni hatte alle seine Mitstreiter zusammengetrommelt und war sofort zur Bank geeilt, um erfolgreich die Akten zu sichern. „Wir haben viel Arbeit vor uns“, grinst er.
Kooperation oder Ruin
Schon heute kann er genug über den Clan erzählen, der an Banken, einer Fluglinie, Immobilien, Telekommunikations- und Medienunternehmen beteiligt war: „Haben sie irgendwo ein Geschäft gewittert, sind sie gekommen und haben eine zwanzigprozentige oder noch höhere Beteiligung gefordert. Wer nicht kooperierte, dessen Geschäft haben sie kaputtgemacht. Schließlich konnte die Frau Ben Alis einigen Ministern direkte Anweisungen geben, wie mit welchem Unternehmen umzugehen sei“, sagt Elheni und nennt Beispiele. Die Anteile an der Generalvertretung einer wichtigen Automarke hatte einer der Schwiegersöhne als Hochzeitsgeschenk erhalten. Sie waren zuvor mit einem Scheck bezahlt worden, der nie eingelöst wurde. Oder der Fall eines vornehmen Bezirks nahe Tunis: Dort wurde ein Berg, der zuvor Militärgebiet war, einfach auf die Bezirksverwaltung umgewidmet, die ihn dann wiederum zu einem symbolischen Preis an die Familie verkauft hatte. Heute gilt der Berg als beste Wohngegend mit einem Quadratmeterpreis von bis zu 2000 Dollar.
Im Studio des Radiosenders Mosaique zelebrieren sie zwischen den Musikeinlagen enthusiastisch das neue Tunesien. Ein Anwalt erzählt den Hörern aufgeregt, dass die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen Ben Ali, seine Frau und die „Familie“ eröffnet habe, um den Vorwurf zu untersuchen, sie habe illegal angehäufte Vermögen ins Ausland transferiert.
Der Direktor der ersten privaten tunesischen Radiostation, die vor sechs Jahren gegründet worden war, lächelt. „Auch bei uns waren sie beteiligt“, sagt Noureddin Boutar. „Leilas Familie kannte noch nicht einmal unsere Adresse, aber am Ende des Jahres haben wir ihnen immer ihr Geld gebracht“, erzählt er. Das System Trabelsi war einfach, schildert er in einem Satz: „Keine lukrative Beteiligung der Familie, keine Lizenz.“
Milliarden beiseite geschafft
Korruptionsexperte Elheni zitiert französische Medien, laut denen das Vermögen Ben Alis und der „Familie“ im Ausland auf fünf Milliarden Dollar geschätzt wird. „Staaten und ausländische Banken sollten dieses Vermögen einfrieren und dem rechtmäßigen Besitzer, dem tunesischen Volk, zurückgeben“, fordert er. Die Schweiz hat bereits den Zugriff auf Konten und Immobilien der Familie blockiert, die EU diskutiert ähnliche Maßnahmen. Wie ein Taxifahrer in Tunis meint: „Nachdem die Europäer jahrzehntelang vor Ben Alis Polizeistaat die Augen verschlossen haben, sind sie uns heute wenigstens diesen Dienst schuldig.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2011)