Norwegen: Wahlkampf im Schatten des Massakers

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Symbolbild(c) AP (Lefteris Pitarakis)
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Drei Wochen nach dem Terroranschlag mit 77 Todesopfern beginnt allmählich wieder der politische Alltag. Mitte September finden Kommunalwahlen statt. Man rechnet mit einer Rekordwahlbeteiligung von 80 Prozent.

Oslo. Mit gemeinsamen Auftritten von Politikern aller Parteien hat in Norwegen am Wochenende der Wahlkampf vor den landesweiten Kommunal- und Regionalwahlen am 12. September begonnen. Wegen der Terroranschläge vor drei Wochen war die Kampagne verschoben worden und startet auch jetzt vorsichtig und nur mit Einschränkungen: Duelle und Fernsehdebatten soll es erst nach der großen Trauerzeremonie geben, die für den kommenden Sonntag angesetzt ist. Erst danach will Ministerpräsident Jens Stoltenberg in den Wahlkampf eingreifen.

In Oslo verwies die sozialdemokratische Spitzenkandidatin Liebe Rieber-Mohn auf die Trauer, die das Land und ihre Partei weiterhin präge. Die Arbeiterpartei verlor durch das Massaker auf dem Jugendlager auf Utøya mehr als 20 Kandidaten für die Lokalparlamente. Dennoch forderte die Sozialdemokratin die anderen Politiker auf, ihre Partei „nicht mit Samthandschuhen“ zu behandeln. Eine freie Debatte sei die Voraussetzung für eine starke Demokratie. Der konservative Stadtratsvorsitzende Fabian Stang versprach einen „würdigen Wahlkampf“.

Gemeinsame Manifestationen

Wie in Oslo begann die Kampagne auch in anderen Städten mit gemeinsamen Manifestationen. Mit „gemischten Gefühlen“ geht Siv Jensen, Vorsitzende der rechtspopulistischen Fortschrittspartei, in den Wahlkampf. Sie lobte ihren Hauptwidersacher Stoltenberg für sein Krisenmanagement, wenn sie auch „in fast allen Fragen mit ihm uneins“ sei. Jetzt gelte es, die Handlungs- und Meinungsfreiheit zu wahren und den „Alltag zurückzuerobern“. Parteiveteran Carl Ivar Hagen, der 28 Jahre FP-Vorsitzender war und nun in Oslo um das höchste Amt kämpft, will seinen Ton dämpfen und auf effekthaschende Angriffe auf die Sozialdemokraten verzichten. „Eine Debatte über Eigentumssteuern wirkt nach dem, was die Arbeiterpartei und das Land durchmachten, kleinkariert.“

Meinungsumfragen zeigen eine starke Sympathiewelle für die Sozialdemokraten, obwohl bei Kommunalwahlen lokale Gegebenheiten stärker durchschlagen als landespolitische Trends. Die Arbeiterpartei liegt nun mit über 35 Prozent hoch über dem Ergebnis von vor vier Jahren (29,6 Prozent) und um rund zehn Prozentpunkte besser als zu Beginn des Sommers. Besonders bei den jüngsten Wählern, bei denen die Sozialdemokraten früher schwach abschnitten, sind sie jetzt mit über 40 Prozent weit voraus. Gespannt wartet man auf die Wahlbeteiligung unter den Jungwählern. Bei den letzten Kommunalwahlen nahmen nur 30 Prozent der Erstwähler teil. Diesmal rechnet man als Reaktion auf den antidemokratischen Terror mit einer Rekordteilnahme von bis zu 80 Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.08.2011)

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