Arabischer Frühling: Was nach den Diktatoren übrig bleibt

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Muammar al-Gaddafi in Libyen, Hosni Mubarak in Ägypten oder Zine Ben Ali in Tunesien haben eine Trümmerlandschaft hinterlassen. Das gilt es jetzt schnell aufzuräumen. Der Wiederaufbau wird allerdings schwer.

Wien. Was sind die Zutaten eines erfolgreichen Staates? Hinter dieser simpel klingenden Frage verbirgt sich eine hochkomplexe Materie, denn der Aufbau von gut funktionierenden staatlichen Strukturen ist nicht so einfach, wie es in Computerspielen wie „Sim City“ oder „Civilization“ suggeriert wird. Gerichte, Finanzämter, Schulen und Polizeistuben lassen sich nicht aus Pixeln und Pappmaschee fabrizieren. Mit Potemkinschen Kulissen, die den Anschein einer vitalen Gesellschaft vermitteln sollen, ist kein Staat zu machen.

Durch den Arabischen Frühling hat dieses Thema an Brisanz gewonnen. Der Abgang von Despoten wie Hosni Mubarak in Ägypten, Muammar al-Gaddafi in Libyen oder Zine Ben Ali in Tunesien hat ein machtpolitisches und institutionelles Vakuum hinterlassen. Das gilt es nun rasch zu füllen.

Im Fahrwasser der US-Invasionen im Irak und in Afghanistan ist das Interesse an Theorien, die die Funktionsweise von Staaten erklären, enorm gestiegen. Den jüngsten Beitrag dazu liefert Francis Fukuyama. Der Politologe, der in den 1990er-Jahren die These vom „Ende der Geschichte“ nach dem Zusammenbruch der UdSSR aufgestellt hat, nimmt sich in seinem Anfang 2011 erschienenen Buch „The Origins of Political Order“ der Evolutionsgeschichte von Staaten an. Seine Conclusio: Um als Staat nachhaltig bestehen zu können, müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein: erstens die Rechtsstaatlichkeit, zweitens eine Exekutivgewalt, die diese rechtlichen Fundamente beschützt, und drittens das Vorhandensein von Mechanismen, die eine Rechenschaftspflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern gewährleisten.

Falken und Tauben

Doch zurück zur Praxis – und zum Arabischen Frühling. Die siegreichen Rebellen in Libyen stehen ebenso wie die Aktivisten vom Tahrir-Platz in Kairo vor der Herausforderung des (Wieder-)Aufbaus der staatlichen Strukturen. Glücklicherweise gibt es neben dem theoretischen Unterfutter auch handfeste Anleitungen zum „Nation Building“.

Grob gesagt lassen sich diese Gebrauchsanweisungen in zwei Lager einteilen: das der „Tauben“ und das der „Falken“. Diese Zweiteilung reicht bis zur Definition des Staatsaufbaus: Die OECD, die zum ersten Lager zählt, deutet „Nation Building“ als „Aktionen, mit denen das Gemeinschaftsgefühl zwecks Überwindung ethnischer oder konfessioneller Differenzen gestärkt wird“. Das Paradebeispiel eines „Falken“ ist wiederum die US-Ideenschmiede „Rand Corporation“, die vom „Einsatz der Waffengewalt mit dem Ziel der Durchsetzung von politischen und ökonomischen Reformen, die der Befriedung eines Staates dienen sollen“ spricht.

Fünf-Punkte-Programm

Anders als die OECD, die sich eher auf allgemeine Empfehlungen beschränkt, sind die Experten der „Rand Corporation“ pragmatischer und konkreter. 2007 haben sie (wohl durch die traumatischen US-Erfahrungen im Irak inspiriert) ihr Wissen zusammengetragen und einen „Beginner's Guide to Nation Building“ verfasst. Der Leitfaden enthält unter anderem einen Fahrplan zum Staatsaufbau.

Priorität Nummer eins ist demnach die Gewährleistung der Sicherheit, gefolgt von humanitärer Hilfe für die notleidenden Teile der Bevölkerung und der Schaffung einer funktionierenden öffentlichen Verwaltung; an vierter Stelle steht die wirtschaftliche Stabilisierung und erst am Schluss als Punkt fünf die Demokratisierung der Gesellschaft. Wenn man diese Skala als Maßstab der Entwicklungen in Nordafrika nimmt, dann befindet sich Libyen ganz am Anfang und Ägypten irgendwo mittendrin zwischen den Punkten drei und fünf.

Für den libyschen Übergangsrat liefert der „Rand-Corporation“-Leitfaden zahlreiche Anregungen. Als wichtige Voraussetzung für den Erfolg gilt demnach die Einbindung internationaler Akteure in die Aufbauarbeiten. Erste Gelegenheit dazu bietet sich wohl kommende Woche beim Treffen der „Freunde Libyens“ in Paris.

Die „Rand-Corporation“-Experten raten weiters dazu, den Tag zu nutzen – die ersten Wochen nach dem Machtwechsel seien „goldene Stunden“, in denen viele Reformen auf Schiene gebracht werden können. Und sie empfehlen die Einbindung von möglichst allen gesellschaftlichen Strömungen in den Prozess des „Nation Building“ – das gilt für die libyschen Stämme ebenso wie für die Muslimbrüder in Ägypten.

Diese Beteiligung ist essenziell, denn der Staatsaufbau ist, um Fukuyama zu zitieren, „nicht vergleichbar mit dem Bau von Staudämmen oder Schnellstraßen. Es bedarf eines großen Aufwands, die Menschen davon zu überzeugen, dass Wandel notwendig ist.“ Im kriegsversehrten Tripolis dürfte diese Überzeugungsarbeit leicht vonstattengehen. Ob dies auch in den Hochburgen der libyschen Stämme so sein wird, bleibt abzuwarten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2011)

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