Laut Zentralbankgouverneur habe der flüchtige Ex-Tyrann kurz vor seinem Sturz rund 20 Prozent der Goldreserven ins Ausland bringen und „versilbern“ lassen. Er habe so mehr als eine Milliarde Dollar eingenommen.
Tripolis/Ag. Libyens weiter unauffindbarer Ex-Herrscher Muammar al-Gaddafi ließ kurz vor seiner Flucht aus Tripolis rund 20 Prozent der Goldreserven der Zentralbank ins Ausland bringen und „versilbern“ – das erklärten am Donnerstag Zentralbankgouverneur Kassem Assos und mehrere Mitarbeiter. Es habe sich um 29 Tonnen Gold gehandelt, das wohl über Tunesien verbracht wurde. Dafür dürfte Gaddafi rund eine Milliarde Dollar (711 Mio. Euro) erhalten haben.
Während der Nationale Übergangsrat die Opfer des Bürgerkrieges seit Februar mit mindestens 30.000 Toten, 50.000 Verletzten und 4000 Vermissten angab, meldete sich Gaddafi jäh in der Öffentlichkeit – indem er beim privaten syrischen Sender Arrai TV anrief. Gaddafi gab sich während des Telefonats siegessicher. Er rief die Libyer zum Kampf gegen die „Söldner“ und „streunenden Hunde“ auf und tönte, man werde die Nato am Ende besiegen. Überdies sei er natürlich in Libyen, nicht im Ausland.
Arrai ist ein deklariert antiimperialistischer Sender, 2006 vom Iraker Mishan al-Joubouri gegründet. Der 54-Jährige behauptet, er könne Gaddafi jederzeit anrufen, dieser verkörpere für ihn „den Widerstand des libyschen Volkes gegen die Aggression der Nato“.
Der US-Botschafter in Libyen, Gene Cretz, nannte es eine „Gefahr“ für die neue libysche Führung und die Stabilität der Region, dass Gaddafi noch auf freiem Fuß sei. Eine weitere Gefahr deckten US-Reporter auf: Zahlreiche tragbare Flugabwehrraketenwerfer des russischen Typs SA-7 „Strela“ (Pfeil) und dessen topmoderner Variante SA-24 „Igla-S“ (Nadel) wurden aus Arsenalen entwendet. Damit könnten sich Gaddafi-Getreue und Rebellen bewaffnet haben, sie könnten aber auch zu Terroristen gelangen.
Flugabwehrraketen verschwunden
Die Systeme sind (feuerbereit) bis zu 17 Kilogramm schwer; ein Schütze verschießt aus einem Rohr, das auf seiner Schulter liegt, eine Rakete, die Ziele bis in etwa sechs Kilometer Entfernung per Wärmesuchkopf automatisch anfliegt. Im Irak verloren die USA dadurch viele Hubschrauber, Terroristen könnten Zivilflugzeuge ins Visier nehmen.
Die Botschaft des Niger wurde durch Eindringlinge verwüstet; es gab zuvor Gerüchte über eine Flucht Gaddafis in den Nachbarstaat. Die Afrikanische Union verurteilte die Übergriffe auf Schwarze in Libyen: Sie müssten um ihre Leben fürchten, da man sie verdächtige, Söldner Gaddafis zu sein. Ein aus Libyen geflohener türkischer Arbeiter sagte zur BBC, in seiner Firma seien 70 bis 80 Arbeitskollegen aus dem Sudan und Tschad ermordet worden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2011)