Eine Regierung ohne Politiker

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Ab sofort regieren Professoren und Experten das marode Mittelmeerland. Bis zuletzt wurde heftig gerungen, ob dem Notkabinett auch Politiker angehören sollen. Neopremier Mario Monti will noch heute Reformen vorstellen.

Rom. Italien bekommt seine 63. Regierung der Nachkriegszeit. Fast zweieinhalb Stunden dauerte gestern, Mittwoch, am Vormittag die Unterredung zwischen Italiens Ministerpräsident in spe, Mario Monti, und Staatspräsident Giorgio Napolitano. Dann gab ein Sprecher Napolitanos vor der gespannt wartenden Presse bekannt, dass Monti das Amt des Premiers nun offiziell antritt. Mit dürren Worten stellte der 68-jährige Wirtschaftsprofessor anschließend sein neues Notkabinett vor, das noch am Nachmittag vereidigt wurde und noch vom Parlament bestätigt werden muss. Es besteht ausschließlich aus Professoren, Experten und Managern, darunter drei Frauen.

Bis zuletzt wurde hinter den Kulissen heftig gerungen, ob ihm auch Politiker angehören sollen. Monti, der in den vergangenen beiden Tagen alle im Parlament vertretenen Parteien konsultiert hatte, entschied sich am Ende dagegen. „Während der Konsultationen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die Abwesenheit von Politikern der Regierung die Arbeit erleichtert, da sie einen Grund für Befangenheit beseitigt“, begründete er seine Entscheidung.

Schlanker, katholischer und unpolitischer

Sein Kabinett ist schlanker, katholischer und unpolitischer als das vorhergehende. Die 16 neuen Minister dürften aber auch den meisten Italienern unbekannt sein. Monti selbst beerbt nicht nur Silvio Berlusconi, der am vergangenen Samstag zurückgetreten ist, sondern übernimmt bis auf Weiteres auch das Superministerium für Wirtschaft und Finanzen. Daneben schafft Monti ein weiteres Superministerium für Industrie, Infrastruktur und Verkehr, das der 56-jährige bisherige Vorstandschef der Großbank „Intesa Sanpaolo“, Corrado Passera, leiten wird. „Dieses Amt ist besonders wichtig, weil Italien konkurrenzfähiger werden muss“, so Monti. Passera hat die Regierung Berlusconi immer wieder scharf kritisiert, weil sie in der Krise untätig blieb.

Auf zwei weitere Schlüsselressorts berief Monti Frauen: Neue Justizministerin – die erste überhaupt in der Geschichte Italiens – wird die bekannte Strafrechtlerin Paola Severino. Die 63-jährige Professorin und Prorektorin der Römer Universität Luiss hat in ihrer Karriere schon viele illustre Mandanten verteidigt, darunter den früheren Ministerpräsidenten Romano Prodi. Sie steht nun einer Institution vor, die in den vergangenen Jahren vor allem damit beschäftigt war, Gesetze ad personam für Silvio Berlusconi umzusetzen, die seine Anwälte erdacht hatten. Die dringend notwendige Reform der Justiz blieb dabei auf der Strecke.

Auch das Römer Innenministerium führt künftig eine Frau. Die 67-jährige Anna Maria Cancellieri ist Verwaltungsexpertin und promovierte Politikwissenschaftlerin und leitete in mehreren italienischen Städten die Präfektur (Vertretung des Zentralstaats in einer Provinz). Die dritte Frau im Bunde ist als neue Sozial-, Arbeits- und Frauenministerin die 63 Jahre alte Wirtschaftsprofessorin Elsa Fornero.

Ex-Botschafter als Außenminister

Neuer Außenminister wird der derzeitige italienische Botschafter in Washington, Giulio Terzi di Sant'Agata, der damit eine lange Karriere als Spitzendiplomat krönt. Er war unter anderem Botschafter in Israel und bei den Vereinten Nationen und gilt als Experte für Sicherheits- und Menschenrechtsfragen. Das Verteidigungsministerium führt künftig Nato-Admiral Giampaolo Di Paola, neuer Kulturminister wird der derzeitige Rektor der Katholischen Mailänder Universität, Lorenzo Ornaghi, der ein besonders schweres Erbe antritt. In den vergangenen Tagen ist spekuliert worden, dass dieses Amt Andrea Riccardi, der allseits geachtete Gründer und Vorsitzende der katholischen Laiengemeinschaft „Sant'Egidio, übernehmen wird. Er wird nun Chef eines neuen Ministeriums für Entwicklungshilfe und Integration, das Italien dringend nötig hat.

Monti legt rasantes Tempo vor

Mario Monti drängt nun weiter auf Tempo. Bereits heute will er sein Regierungsprogramm im Senat vorstellen, das umfangreiche Reformen und Sparmaßnahmen enthalten wird, um Italiens Haushalt bis zum Jahr 2013 auszugleichen und die Staatsverschuldung zu drosseln. Anders als die Regierung Berlusconi will Monti dabei aber auch das Kunststück vollbringen, die Wirtschaft anzukurbeln.

Am Dienstag haben ihm die beiden größten Parteien im Parlament, die oppositionellen Demokraten und Berlusconis „Volk der Freiheit“ (PdL), ihre Unterstützung zugesagt. In den Gesprächen mit der PdL hat Monti klargemacht, dass er bis zu den nächsten Wahlen 2013 regieren will.

Auf einen Blick

16 Minister umfasst Italiens Expertenregierung unter Premier Mario Monti: Das neue Superministerium für Wirtschaft und Finanzen übernimmt er selbst, jenes für Infrastruktur, Industrie und Verkehr der Banker Corrado Passera. Neue Justizministerin wird die Strafrechtlerin Paola Severino, Innenministerin die Verwaltungsexpertin Anna Maria Cancellieri, Sozial, Arbeits- und Frauenministerin die Ökonomin Elsa Fornero.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2011)

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