Prozess gegen „Pharao“ im Endspurt

Gerichtsverfahren. Noch im Februar wird das Urteil gegen Expräsident Hosni Mubarak erwartet. Aus Angst vor Lynchjustiz wird er demnächst ins Thora-Gefängnis verlegt.

Kairo. Als vor genau einem Jahr um 17.07Uhr der ägyptische Vizepräsident Omar Suleiman mit steinerner Miene im Staatsfernsehen erschien, lagen Soldaten und Demonstranten einander jubelnd in den Armen. „Unter diesen schwierigen Umständen, die das Land derzeit durchmacht, hat Präsident Hosni Mubarak entschieden, das Amt des Präsidenten niederzulegen“, las Suleiman mit belegter Stimme vom Blatt.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht, die ganze Nacht feierten Hunderttausende auf dem Tahrir-Platz in Kairo ihren Sieg. Der entthronte Potentat hatte sich da schon per Flugzeug in sein Domizil nach Sharm-el-Sheikh abgesetzt. „Ägypten wird niemals mehr so sein wie vorher”, gratulierte US-Präsident Barack Obama aus der Ferne.

Nach einem Jahr ist von dieser kollektiven Euphorie nur noch wenig zu spüren. Auf den Straßen macht sich Kriminalität breit, die Wirtschaft ist am Boden, Touristen bleiben aus, und die Staatsfinanzen sind außer Kontrolle geraten. Andererseits hat das Volk das erste demokratische Parlament in der Geschichte Ägyptens gewählt sowie den Mordprozess gegen seinen Langzeit-Pharao erzwungen. Wahrscheinlich noch im Februar sieht der 83-Jährige jetzt seinem Urteil wegen Mord und Beihilfe zum Mord in 846 Fällen entgegen.

Angst vor Sturm auf Hospital

Auf Anweisung des Innenministeriums soll Mubarak aus dem Kairoer Militärkrankenhaus in eine Zelle im Thora-Gefängnis verlegt werden, auch weil die Verantwortlichen fürchten, ein bewaffneter Mob könnte das Hospital stürmen und den Expräsidenten lynchen. Bis Ende nächster Woche haben noch die Verteidiger das Wort. Dann will der Vorsitzende Richter Ahmed Refaat den Termin für das Urteil bekannt geben.

Fast jeden Morgen landete in den letzten sechs Monaten kurz vor neun Uhr der weiße Hubschrauber auf dem weitläufigen Gelände der zentralen Polizeiakademie in Kairo. Minuten später wurde der in Decken eingehüllte Expräsident auf einer Bahre in den vergitterten Käfig gerollt, der eigens für den Prozess in das Auditorium eingebaut wurde.

Genauso regelmäßig lieferten draußen vor den Toren Anhänger und Gegner des Hauptangeklagten einander ihre ritualisierten Schlägereien. Die einen liefen mit symbolischen Galgenstricken herum, die anderen mit Heldenplakaten ihres gestürzten Idols.

Und drinnen stießen die Gegensätze im Juristen-Arabisch ebenso hart aufeinander: Für die Staatsanwaltschaft ist Mubarak ein „tyrannischer Führer“, der für die tödlichen Schüsse auf Demonstranten voll verantwortlich ist und exekutiert gehört. Darüber hinaus habe er „die Korruption im Land verbreitet, die Türen für seine Freunde und Verwandte geöffnet und das Land bedenkenlos ruiniert“, plädierte Chefankläger Mustafa Suleiman. Der Exdiktator verdiene es, „in Erniedrigung und Entwürdigung zu enden – vom Präsidentenpalast über den Angeklagtenkäfig hin zur härtesten aller Strafen“.

Aufgeopfert für sein Volk

Gegenspieler Farid el-Deeb, der Chefverteidiger Mubaraks, dagegen zeichnete in blumiger Sprache das Bild eines zu Unrecht verleumdeten Opfers, das 29 Jahre lang seine ganze Kraft und Gesundheit in den Dienst der Nation gestellt hat und jetzt hinterlistig traktiert wird von seinem bösartigen und undankbaren Volk. Mubarak sei kein blutrünstiger Tyrann, sondern eine untadelige Persönlichkeit, die kein Unrecht auf sich geladen habe.

„Alles Lügen, alles Lügen. Hängt Mubarak auf!“, unterbrachen ihn erregt Dutzende Opferanwälte. Nur mit Mühe konnten die Sicherheitskräfte verhindern, dass die Advokaten im Saal mit Fäusten aufeinander losgingen.

Draußen im Land hingegen entladen sich die postrevolutionären Spannungen mittlerweile regelmäßig in schweren Krawallen – zuletzt in Port Said und Kairo mit 74 Toten und über 3000 Verletzten. Zum Feiern ist am Jahrestag von Mubaraks Sturz niemandem zumute. Tausende Ägypter sind am Freitag auf die Straße gegangen, um gegen den herrschenden Militärrat zu demonstrieren. Sie wollen das ganze Land jetzt mit einem Generalstreik lahmlegen und so den Rücktritt der Militärführung erzwingen.

Harte Generäle

Die Generäle jedoch geben sich ungerührt. In Kairo und größeren Städten ließen sie fast alles an gepanzerten Fahrzeugen auffahren, was sie in den Kasernen haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2012)

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