Songcontest als Bühne für den Präsidentenclan

Aserbaidschans autoritäre Regierung nützt das europäische Wettsingen im Mai als Propagandaplattform. Regimegegner weisen auf Folter und Unterdrückung hin.

Der Sprecher des Außenministers ist konsterniert. Trackshittaz? Track-Shittaz? So heißen diejenigen, die Österreich beim Eurovision Song Contest in Baku vertreten werden? „Oh no.“ Das nachsichtige Lächeln in Elman Abdullajews Gesicht will nicht so recht gelingen.

Der Songcontest ist ein Minenfeld. Hinter scheinbar unverfänglichen Fragen lauert Explosionsgefahr, das scheint Abdullajew jetzt klar zu werden, auch wenn er sich die vergangene halbe Stunde große Mühe gegeben hat, mögliche Gräben zwischen aserbaidschanischer und europäischer Befindlichkeit mit Worten zuzuschaufeln. Tapfer hat er in seinem Ministeriumsbüro zwei Dutzend Telefonanrufe auf den insgesamt fünf Apparaten – drei Festnetztelefone, zwei Handys – ignoriert und versichert, dass die Austragung des Songcontest Ende Mai eine „historische Chance“ sei, sein Land zu präsentieren und zu beweisen, „dass wir uns in Europa integrieren wollen“.

Elman Abdullajew ist ein Mann in den Dreißigern, er hat in den USA studiert und spricht glänzend Englisch, er trägt an diesem Tag keine strenge Krawatte, wie aserbaidschanische Beamte es sonst tun, das Sakko hängt über der Stuhllehne. Abdullajew kennt die Gepflogenheiten des Westens sehr gut, doch sein Land will er damit nicht überfordern. Er sagt Sätze wie „Demokratisierung ist ein evolutionärer Prozess, man muss die Gesellschaft darauf vorbereiten.“ Einwürfe, dass der seit 2003 amtierende Präsident Ilham Alijew selbst bisher wenig Interesse für demokratische Spielregeln gezeigt hat, kontert er leger: „Und Europa? Es hat 500 Jahre gebraucht, bis es sich demokratisiert hat.“ In Aserbaidschan, der früheren Sowjetrepublik am Kaspischen Meer, werde es schneller gehen.

Willkommenes Druckmittel. Doch in Baku, der aufgewecktesten Hauptstadt des Südkaukasus, gibt es eine nach Westen orientierte Elite, die sich nicht auf später vertrösten lassen will. Konkreter als sonstige Deklarationen der Regierung auf Papier, stellt für sie das Wörtchen „European“ im „Songcontest“ ein willkommenes Druckmittel dar. Die Aktivisten der Gruppe „Sing for Democracy“ fordern, dass eine europäische Veranstaltung nur an einem Ort stattfinden solle, der europäische Standards in den Menschenrechten einhält.

Soll der Gesangswettbewerb wirklich stattfinden in einem Land, in dem laut einer aserbaidschanischen Nichtregierungsorganisation 2011 drei Menschen durch Folter gestorben sind? In einem Land, in dem es nach Aussage des Chefs der unabhängigen Nachrichtenangetur Turan, Mehman Alijew, 60 bis 80 politische Gefangene gibt?

„Es gibt keine politischen Gefangenen“, meint Elman Abdullajew darauf, „die behaupten das doch nur, um Unterstützung zu erhalten.“ Beobachter sagen hingegen, dass Aserbaidschan von Ilham Alijew autoritär wie ein Familienunternehmen geführt werde. Der Präsidentenclan monopolisiere Wirtschaft und Politik, lasse keinen Wettbewerb zu. Der Songcontest wird von der Hejdar-Alijew-Stiftung organisiert, benannt nach Ilhams Vater und Amtsvorgänger. Präsidentin des Organisationskomittees ist Präsidentengattin Mehriban.


Stolze Gastgeber. Planierraupen und Lastwagen kämpfen sich durch das weiche Erdreich vor der Crystal Hall, die auf einer ins Kaspische Meer ragenden Halbinsel steht. Die Konzerthalle, sie soll 100 Millionen Euro gekostet haben und wurde erst vor ein paar Tagen fertiggestellt, hat man eigens für den Songcontest errichtet. Zufahrt und Grünflächen müssen erst angelegt werden. Im Zentrum Bakus überziehen Arbeiter alte Gebäude mit einer neuen Steinfassade. „Wir verschönern Baku für unsere Gäste“, sagt ein Taxifahrer. Viele Bewohner sehen sich als stolze Gastgeber. Für die Führung ist es ein Staatsempfang, bei dem man vor allem sich selbst inszenieren will.

Doch auch für die Opposition bietet das Event ein kleines Fenster der Aufmerksamkeit. Rauf Arifoglu von der Oppositionszeitung „Yeni Musavat“ hofft auf interessierte Besucher, die mehr vom Land sehen wollen als nur die 45.000 LED-Lichter, die die Konzerthalle nachts wie ein Kristall funkeln lassen. Dass der Songcontest eine längerfristige Demokratisierung des Landes vorantreibe, glaubt man in Baku aber nicht. Emin Husejnow, Chef einer Journalistenorganisation, meint sogar, dass es nach der Maiwoche, wenn die europäische Öffentlichkeit längst auf die nächste Großveranstaltung blicke, für Aktivisten „im Rückwärtsgang“ weitergehen werde.

kein Ruhmesblatt

Der 57. Eurovision Song Contest findet am 26. Mai 2012 in Aserbaidschans Hauptstadt Baku statt. Menschen-rechtsorganisationen beklagen, dass es im Zusammenhang mit der Errichtung von Bauten für den Songcontest zu Menschenrechtsverletzungen gekommen sei.

Amnesty International appelliert im Vorfeld des Bewerbs an den Präsidenten Aserbaidschans, politische Gefangene freizulassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2012)

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