Ukraine: Ruf nach Boykott der Fußball-EM

Ukraine nach Boykott FussballEM
Ukraine nach Boykott FussballEM(c) REUTERS (PETR JOSEK)
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Kanzlerin Merkel will, dass Minister auf Ukraine-Besuch verzichten. Österreichs Präsident Fischer sagt ein Treffen mit Janukowitsch aus "terminlichen und inhaltlichen Gründen" ab.

Wien/Kiew. Das Spiel, das sechs Wochen vor der Eröffnung der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine gespielt wird, hat mehr Ähnlichkeit mit einer Pferdewette als mit einem Fußballmatch. In europäischen Diplomatenkreisen fragt man sich derzeit, welche Option gewinnbringender ist: Teilnahme oder Boykott? Soll man als Politiker, womöglich gar als offizieller Gast des Präsidenten, in den Rängen der ukrainischen Stadien Platz nehmen oder nicht?

Aufgeworfen haben diese Fragen vor allem die Haftbedingungen der früheren Premierministerin Julia Timoschenko, die im Frauengefängnis im EM-Austragungsort Charkiw hinter Gittern sitzt. Sie ist vor zehn Tagen in Hungerstreik getreten, dann tauchten Fotos auf, die Verletzungen auf Timoschenkos Körper zeigten. Ihre Familie sagt, sie werde „gefoltert“; deutsche Ärzte machen sich für eine medizinische Behandlung Timoschenkos in Berlin stark. Es wäre eine diplomatische Lösung, die die deutsche Kanzlerin Angela Merkel unterstützt. Doch die Signale der Ukraine sind bisher negativ.

In der Ehrenloge des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch könnte es einsam werden – und das, wo die Ukraine (die gemeinsam mit Polen das Fußballfestival ausrichtet) mit der EM doch eigentlich ihre „Europareife“ beweisen wollte.

Die deutsche Kanzlerin hat jedenfalls ihre Wortwahl verschärft. Einem Bericht des „Spiegel“ zufolge überlegt sie einen Boykott des Events durch die deutsche Bundesregierung. Sollte Timoschenko bis zum Beginn der Europameisterschaft nicht freigelassen werden, wolle Merkel ihren Ministern empfehlen, den Spielen fernzubleiben. Lediglich für Innen- und Sportminister Hans-Peter Friedrich könnte eine Ausnahme gelten.

Auch der deutsche SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte Politiker aufgefordert, auf einen Besuch der EM zu verzichten. Der christdemokratische Politiker und frühere Europaabgeordnete Pier Ferdinando Casini forderte in der italienischen Zeitung „Il Messagero“ gar die EU auf, „die Möglichkeit einer bestimmten Form des Boykotts“ der Europameisterschaft zu bedenken.

Aber nicht nur bei der EM drohen Europas Politiker Präsident Janukowitsch mit dem Fernbleiben, auch für den jährlichen Zentraleuropa-Gipfel am 11. und 12. Mai im Krim-Kurort Jalta hagelte es bereits zahlreiche Absagen. Nicht nur der deutsche Präsident Joachim Gauck und sein slowenischer Amtskollege Danilo Türk bleiben dem Treffen, bei dem Staatschefs die Europäische Integration der Region besprechen wollten, fern.

Kein Treffen Fischers mit Janukowitsch

Wie „Die Presse“ erfuhr, sagte auch der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer seine Teilnahme an dem Treffen ab – und zwar aus „terminlichen und inhaltlichen Gründen“. Bei der Konferenz wäre es zu einem persönlichen Treffen zwischen Fischer und Gastgeber Janukowitsch gekommen. Man habe diese Entscheidung bereits vor 14 Tagen – also „vor Präsident Gauck“ – getroffen, sagte Fischers Sprecher Bruno Aigner der „Presse“. Übrigens: Auch einem Spiel der Fußball-Europameisterschaft wird der „fußballinteressierte Bundespräsident“ nicht beiwohnen; das sei „nie geplant“ gewesen, da Österreich sich nicht qualifiziert habe, sagte Aigner. Auch Sportminister Norbert Darabos werde nicht zur EM reisen, erfuhr „Die Presse“ auf Anfrage – „auch nicht als Privatperson“.

Kiew reagiert entsprechend enerviert auf die Boykottdrohungen. Wassili Kisseljow von der regierenden „Partei der Regionen“ nannte gestern die Äußerungen Merkels eine „ungenierte Einmischung in die inneren Angelegenheiten“ der Ukraine.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2012)

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