EU scheitert bei Migranten-Integration

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Zuwanderer sind schlechter ausgebildet, öfter arbeitslos und zu wenig willkommen.

WIEN. Europa hat ein Migrationsproblem. Aber es ist kein quantitatives, sondern ein qualitatives: „Millionen Zuwanderer sind schlecht integriert, und sie reichen ihre Defizite an ihre Kinder weiter.“ Zu diesem Schluss kommt das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, das seine Studien nun in einem Buch mit dem Titel „Die demografische Zukunft von Europa“ zusammengefasst hat.

28 Millionen Menschen aus Drittstaaten leben derzeit in der EU. Die Mitgliedstaaten sind auf sie angewiesen: zum einen, weil sie ihre Arbeitskraft benötigen, zum anderen, um ihr demografisches Problem in den Griff zu bekommen. In Deutschland stammt beispielsweise bereits ein knappes Drittel der unter Zehnjährigen aus Zuwandererfamilien. Doch laut den Experten des Berlin-Instituts gelingt es kaum einem EU-Land, dieser wachsenden Zahl junger Zuwanderer die gleichen Bildungs- und Ausbildungschancen zu bieten wie Einheimischen. Das Buch verweist auch auf Österreich, wo die zweite Generation an Zuwanderern im Durchschnitt sogar einen noch niedrigeren Bildungsstand hat als direkt Zugewanderte.

Zwar fehlen fast überall in Europa qualifizierte Arbeitskräfte. Doch das vorhandene Potenzial an Zuwanderern kann dafür kaum genutzt werden. Die Gründe sind vielfältig. Verantwortlich sind neben den Einwanderern selbst auch die Behörden in den Zielländern. Das beginnt schon bei einer fehlenden Koordination der Zuwanderung: Der Anteil von qualifizierten Erwerbstätigen unter den Migranten erreicht in Europa laut einem jüngsten EU-Bericht lediglich 1,7 Prozent. In den USA beträgt er 3,2, in Kanada 7,3 und in Australien sogar 9,9 Prozent.

Wenig Aufstiegschancen

Wandern schlecht ausgebildete Arbeitskräfte ein, haben sie zudem kaum Weiterbildungs- und Aufstiegschancen. „Die sozialen Wohlfahrtsstaaten Europas waren zwar lange einladend für gering Qualifizierte, doch ihre unflexiblen Arbeitsmärkte und die Aufstiegsmöglichkeiten nach dem Senioritätsprinzip sorgen dafür, dass die höheren Positionen in der Regel älteren Inländern vorbehalten bleiben“, heißt es im Buch. „Für engagierte junge Fachkräfte mit Migrationshintergrund bleibt oft nur die Warteschleife.“ Dazu kommt das vermittelte Gefühl, nicht willkommen zu sein.

Diese Rahmenbedingungen tragen auch zur geringen Integration in den Arbeitsmarkt bei. Während Zuwanderer aus anderen EU-Staaten in vielen Mitgliedstaaten eine höhere Beschäftigungsquote erreichen als inländische Arbeitnehmer, haben Migranten aus Drittländern ein weit größeres Problem, einen Job zu finden.

In Österreich liegt die Beschäftigungsquote von solchen Zuwanderern lediglich bei 60 Prozent, jene der Inländer bei 72 Prozent (siehe Grafik). Die Demografie-Experten warnen vor einer sozialen und wirtschaftlichen Zeitbombe: Die schlechte Integration bringe ein „enormes Konfliktpotenzial“. Und es entstünden volkswirtschaftliche Belastungen.

„Die fehlende Integration in den Arbeitsmarkt kostet die Gesellschaft über die gesamte Lebensphase einer Person schätzungsweise 500.000 Euro.“ Ein ideales Integrationsmodell können aber auch die Demografie-Experten nicht anbieten. Sie kommen lediglich zum Schluss, dass es Länder gibt, die mit Einzelproblemen der Integration besser fertig werden als andere.

So bietet etwa Schweden den Kindern seiner Zuwanderer eine gute, mit Inländer-Kindern vergleichbare Ausbildung. Dies deckt sich mit Untersuchungen der EU-Kommission, die für alle Mitgliedsländer einen „Migrant Integration Policy Index“ errechnet hat. Demnach schneiden Österreich, Deutschland, aber auch Irland und Finnland beim Zugang von Zuwanderern zum Bildungssystem weit schlechter ab als Schweden, Schweiz oder Niederlande.

Sogkraft für Unqualifizierte

Das Buch über den demografischen Wandel kommt zu folgendem Schluss: Länder mit einem restriktiven Zuwanderungsrecht und geringen Ausländeranteilen haben bei der Integration die geringsten Probleme. Das Gleiche gilt für liberalere Länder mit einem niedrigen Sozialstaatsniveau. „Länder mit liberalem Zuwanderungsrecht und umfangreicher wohlfahrtsstaatlicher Versorgung schneiden eher schlecht ab. Sie ziehen die am wenigsten gebildeten Migrantengruppen an.“

Die Demografische Zukunft von Europa, Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung (Hg.), DTV Berlin 2008, 368 S., €19,90.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2008)

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