Zunehmende Bedeutung, weniger Aufmerksamkeit

Das Europaparlament hat immer mehr Kompetenzen, doch die Wahlbeteiligung bei Europawahlen sinkt.

WIEN.Es ist kurios: Das Europaparlament hat in den letzten dreißig Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Heute bestimmt es in fast allen wichtigen Fragen der EU mit. Dennoch sinkt die Aufmerksamkeit über seine Tätigkeit und damit auch die Wahlbeteiligung. 1979 nahmen noch 63 Prozent der EU-Bürger an den Europawahlen teil, beim letzten Wahlgang 2004 waren es EU-weit nur noch 45,6 Prozent.

Experten warnen bereits vor einem Legitimationsproblem. Max Haller, Professor für Soziologie an der Karl-Franzens-Universität in Graz, spricht in einer von der Austria Presse Agentur veröffentlichten Expertise von einem „höchst problematischen, aber auch paradoxen Trend“. Um diesem Trend entgegenzuwirken, denkt Haller sogar über die Einführung einer Wahlpflicht nach.

Auch in Österreich erlebte die Wahlbeteiligung seit dem EU-Beitritt eine rasante Talfahrt. 1996 nahmen noch 67,7 Prozent der wahlberechtigten Österreicher und Österreicherinnen teil. 1999 sank die Wahlbeteiligung bereits auf knapp unter die Hälfte (49,4%), um 2004 den Tiefpunkt bei 42,43 Prozent zu erreichen. Besonders problematisch ist, dass der Rückgang vor allem bei Jungwählern sehr stark ist.

Noch dramatischer ist die Situation freilich in Osteuropa: In Tschechien nahmen bei der letzten Europawahl nur 28,3 Prozent, in Polen 20,87 und in der Slowakei gar nur 16,96 Prozent der Wahlberechtigten teil. Besonders hart ging der damalige polnische Präsident Aleksander Kwaśniewski mit seinen Landsleuten ins Gericht: Die Wahlbeteiligung sei ein „Beweis der Unreife“ der polnischen Zivilgesellschaft. Er fürchtete, dass dieses Faktum auch die Position seines Landes in der EU schwächen werde.

Konzentration auf Innenpolitik

Der Soziologe Haller spricht von einem „demokratiepolitischen Problem“. Mit ein Grund dürfte sein, dass auch die politischen Parteien der Europawahl nicht dieselbe Aufmerksamkeit schenken wie den nationalen Wahlen. Denn fast überall liegt die Wahlbeteiligung bei nationalen Wahlen höher. Dies ist insofern absurd, als bereits deutlich mehr als die Hälfte der Gesetzgebung in Brüssel oder Straßburg geschieht und nicht mehr in den nationalen Parlamenten.

Schon bei der letzten Europawahl zeigte sich auch ein eigenartiges Phänomen im Wahlkampf. Es wurden vor allem innenpolitische und nicht europapolitische Themen diskutiert.

Angesichts der neuerlich drohenden niedrigen Wahlbeteiligung hat das Europaparlament nun selbst eine Wahlkampagne initiiert. Mit 18 Millionen Euro wirbt das Parlament – mit etwas seltsamen Plakaten und öffentlichen Installationen – für eine Teilnahme an der Wahl am 7. Juni.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2009)

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