EU geht vor Sarkozy in die Knie

Sarkozy
Sarkozy(c) EPA (LUCAS DOLEGA)
  • Drucken

Die EU-Kommission leitet wegen Vertragsbruchs nur ein abgemildertes Verfahren gegen Paris ein. Justizkommissarin Viviane Reding muss auf Druck von Frankreich die Diskriminierung von Roma ungestraft lassen.

Hat Frankreichs Innenminister tausende Roma diskriminiert, indem er die Behörden schriftlich angewiesen hat, bei der Auflösung illegaler Zeltlager gezielt gegen die Angehörigen dieser Volksgruppe vorzugehen?

In ihrer europaweit mit großer Spannung erwarteten Entscheidung drückte sich die Europäische Kommission am Mittwoch um die Antwort auf diesen Vorwurf. Die Brüsseler Behörde verzichtete in ihrer Rolle als Hüterin des EU-Rechts darauf, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Paris wegen des Verdachts der ethnischen Diskriminierung der Roma einzuleiten.

Redings halber Rückzieher

Erst am 14. September hatte Justizkommissarin Viviane Reding wörtlich gesagt: „Ich bin persönlich überzeugt, dass die Kommission keine andere Wahl haben wird, als zwei Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich zu eröffnen.“ Eines dieser Verfahren, die im äußersten Fall mit einer Verurteilung Frankreichs durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) geendet hätte, hätte sich laut Redings Worten darauf beziehen sollen, dass Paris die EU-Richtlinie über das Recht auf Freizügigkeit in der Union diskriminierend anwendet.

Daraus wurde nichts. Einzig wegen der nicht vorschriftsgemäßen Umsetzung dieser Rechtsvorschrift aus dem Jahr 2004 schickte die Kommission am Mittwoch einen Brief nach Paris. Darin fordert die EU-Behörde Frankreichs Regierung auf, bis zum 15.Oktober glaubhaft zu belegen, dass Verfahrensrechte für EU-Ausländer, die sich aus der Richtlinie ergeben, gewährt werden. Rein formal hat die Kommission damit also den ersten Schritt eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Frankreich gesetzt. Faktisch hat Paris aber wenig zu befürchten.

„Wenn Frankreich seine Gesetze rasch ändert, werden wir dieses Verfahren stoppen“, sagte Reding am Mittwoch zum französischen TV-Sender „France 24“. Es ist zu erwarten, dass Paris schnell ein Dossier nach Brüssel schicken wird, in dem klar dargestellt wird, wie Frankreich die Freizügigkeitsrichtlinie korrekt umsetzen wird.

Redings Ankündigung vom 14. September hat das Verhältnis zwischen Frankreichs Regierung und der Kommission stark beeinträchtigt. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy nahm die Androhung zweier Rechtsverfahren, die den Kern seiner Zuwanderungspolitik getroffen hätten, als persönlichen Angriff und intervenierte heftig.

Heiße Debatte der Kommissare

Vor allem Redings Feststellung, Frankreichs Umgang mit den Roma sei „eine Situation, von der ich gedacht hatte, dass Europa sie nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr würde erleben müssen“, empörte Sarkozy. „Das ist eine Verletzung, eine Beleidigung“, donnerte er. Reding distanzierte sich zwar von Vergleichen mit der Verfolgung ethnischer Minderheiten durch die Nazis. Dennoch überschattet der Streit ein Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs am 16. September.

Kommissionspräsident Barroso war am Mittwoch darum bemüht, die Wogen zu glätten. Denn auch seine 26 Kommissare dürften sich bis zuletzt nicht einig gewesen sein, wie in dieser delikaten Frage vorzugehen ist. Ihre jeden Mittwoch stattfindende Sitzung dauerte zwei Stunden länger als üblich.

Barroso wollte keine Fragen

Danach verlas Barrosos Sprecherin eine zweiseitige Erklärung, ohne Fragen zuzulassen. Auch die anschließende Pressekonferenz von Barroso und Währungskommissar Olli Rehn zur Reform der Währungsunion sollte ohne Fragen zum Roma-Streit ablaufen. Dementsprechend knapp waren Barrosos Antworten auf ein paar trotzdem gestellte Fragen: „Man sollte diese Angelegenheiten nicht politisieren. Es war eine einstimmige Entscheidung. Und sie folgte exakt Redings Vorschlag.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Frankreich: Parlament erleichtert Roma-Abschiebung
Außenpolitik

Frankreich: Parlament erleichtert Roma-Abschiebung

Das französische Parlament segnet die umstrittenen Maßnahmen zur Erleichterung der Abschiebung von Ausländern ab. "Graue Hochzeiten" werden hart bestraft.
Mauern Roma bdquoschuetzenldquo sollen
Außenpolitik

Wo Mauern vor Roma „schützen“ sollen

Im Osten der Slowakei werden Absperrungen zwischen Mehrheit und Minderheit gebaut. Doch auch manche Roma grenzen sich von "Problemfamilien" ab. Sie stört es, dass alle Roma "in einen Topf" geworfen werden.
Europa

Roma-Abschiebung: Frankreich fühlt sich freigesprochen

Paris sieht im abgemilderten Verfahren der EU-Kommission zur Roma-Abschiebung eine Bestätigung der eigenen Linie.
Leitartikel

Die EU riskiert ihre Glaubwürdigkeit

Brüssel hat das Verfahren gegen Paris abgeschwächt und damit europäische Grundprinzipien gebrochen.
Roma
Außenpolitik

Warum die Roma-Hilfe nicht ankommt

Die EU hat in den vergangenen Jahren Hunderte Millionen Euro für die Integration der Roma ausgegeben. Dennoch ist wenig von Verbesserungen zu spüren. Im Roma-Viertel Fakulteta scheint die Zeit stehen geblieben zu sein.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.