Der scheidende Parlamentarier Van der Bellen über Wahlrecht, großartige Abgeordnete und Rührung zum Abschied.
Die Presse: Sie waren richtig gerührt.
Alexander Van der Bellen: Sie meinen gestern bei meiner Abschiedsrede? Ja, da war ich wohl kurz gerührt.
Wegen des Abgangs aus dem Parlament oder des Abschieds von Mitarbeitern und Kollegen?
Wohl beides. Das war eine lange Zusammenarbeit. Und Rührung wegen des Parlaments? Ihnen brauche ich nicht zu sagen, wie wichtig dieses Haus für die Demokratie ist. Und dann war es wohl auch die Art der Verabschiedung im Plenum, ich war überrascht, wie emotional das wurde und wie freundlich die Kollegen in den anderen Fraktionen waren.
Sie haben aber immer Sympathie jenseits der Fraktionsgrenzen genossen.
Nicht in allen Fraktionen, bei Abgeordneten der SPÖ und der ÖVP, aber zu FPÖ und BZÖ fällt mir nicht viel Positives ein. Da komme ich nur mit Einzelnen aus, etwa mit Herbert Scheibner, der zeitgleich mit mir Klubchef war.
Sie sagten am Schluss Ihrer Rede, das Hohe Haus sollte dringend renoviert werden. Meinen Sie nur das Gebäude oder noch mehr?
Angesprochen habe ich nur das Bauliche, konkret das Plenum als Pars pro Toto. Ich finde etwa ganz seltsam und problematisch, dass man als Abgeordneter mit dem Rücken zu den Regierungsmitgliedern steht. Dieses Zeichen wollte ich setzen: Zugegeben, es geht um ein paar hundert Millionen, aber die Republik muss sich doch die notwendige Renovierung der Volksvertretung leisten können. So schön und zweckmäßig wie der deutsche Bundestag kann es schon wegen des Denkmalschutzes nie werden, aber ohne Verbesserungen wird es nicht gehen.
Ist das Feigheit?
Ja, Zögerlichkeit. Wenn man nun ein Jahr vor der Wahl versucht, einen Konsens zu finden, wird das schwer werden. Ich bin ein großer Freund des deutschen Wahlrechts, mit Zweitstimmen. Es würde Sinn haben: eine Stimme einer Person und die zweite einer Partei zu geben.
Sie sind doch kein Anhänger eines ausgeprägten Persönlichkeitswahlrechts, oder?
Nein, bin ich nicht. Es besteht nämlich die Gefahr, dass dann plötzlich 183 Bürgermeister im Nationalrat sitzen, die allesamt vor Ort die besten Sympathiewerte haben.
So sitzen eben die Sozialpartner drinnen und bringen von Kammern und Gewerkschaften konzipierte Gesetze ein. Das ist auch nicht so toll.
Das Parlament war früher aber viel stärker eine Außenstelle der Sozialpartner. Das hat sich stark verändert.
Verbessert?
Ja, durchaus. In den Schüssel-Jahren haben die Sozialpartner ihr Veto bei gesetzlichen Vorhaben verloren.
Das heißt, die Schüssel-Jahre waren in diesem Punkt gut?
Für diese eine Veränderung hatte ich gewisse Sympathien.
Dass der Nationalrat keinen ordentlichen legistischen Dienst wie der deutsche Bundestag hat, ist doch einigermaßen absurd.
Es gibt einen kleinen legistischen Dienst. Aber es wäre gut, wenn der Verfassungsdienst aus dem Kanzleramt in den Nationalrat wechselte.
Meinen Sie, dass es früher im Nationalrat großartigere Politiker gegeben hätte? Trifft das auch auf die Qualität der Reden zu?
Ja, ich denke da an Leute wie Heinrich Neisser, Andreas Khol und Ewald Nowotny, die nicht wirklich ersetzt wurden.
Ist es nicht eine Ironie der Geschichte? Am Schluss Ihrer Parlamentskarriere stimmen Sie einem Schutzschirm zu, der auch auf Banken ausgedehnt werden soll und von Wirtschaftswissenschaftlern heftig kritisiert wird.
Mich wurmt schon auch, dass nachdem der ESM feststeht, plötzlich die Idee dieses Bankenschutzschirms auf dem EU-Gipfel dazukommt. Aber das haben wir nicht beschlossen, und das werden wir auch nicht unterstützen.
Es reicht dann die einfache Mehrheit.
Das stimmt schon, aber die Regierung muss das Parlament und uns konsultieren.
Viel Spaß im Gemeinderat, dort geht es manchmal ziemlich erdig bis rau zu.
Danke, ich bin zwischen BZÖ und FPÖ gesessen, ich bin einiges gewohnt.
Zur Person
Alexander Van der Bellen (68) war von 1997 bis 2008 Bundessprecher und seit 2004 Nationalratsabgeordneter der Grünen. Er wechselte am Freitagabend vom Nationalrat in den Wiener Gemeinderat.