Arbeitsmarkt: ÖVP für Verschärfung für Arbeitslose

MINISTERRAT: FAYMANN / MITTERLEHNER
MINISTERRAT: FAYMANN / MITTERLEHNER(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
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ÖVP-Chef verlangt die Prüfung der Zumutbarkeitsregeln bei Jobverweigerungen. Mitterlehner äußert erste Unzufriedenheit mit Sozialminister Hundstorfers Gegenmaßnahmen.

Wien. Der Anstieg der Arbeitslosenzahlen in Österreich führt jetzt zu erster sanfter Kritik von Vizekanzler und ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner an Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ). Konkret zweifelt der ÖVP-Chef an der Effizienz der Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Erste unmittelbare Folge: Der Sozialminister muss auf Wunsch Mitterlehners jetzt prüfen, ob die Zumutbarkeitsbestimmungen, mit denen die Auflagen für Arbeitslose bei Aufnahme oder Verweigerung von Jobs berechnet werden, ausreichen.

Hindernis für Mobilität?

Diese offen am Rand des Ministerrats vorgebrachte Unzufriedenheit ist besonders bemerkenswert. Denn Mitterlehner und Hundstorfer gelten seit ihrem Amtsantritt als Minister im Dezember 2008 als Vorzeigepaar der rot-schwarzen Koalition. Beide halten nichts von öffentlich ausgetragenen Kämpfen und versuchen, etwaige Differenzen im Regelfall intern ohne öffentliches Hickhack auszuräumen. Noch dazu weiß Mitterlehner als Wirtschaftsminister ganz genau, dass er mit allen Überlegungen in Richtung strengerer Auflagen für Bezieher von Arbeitslosengeld bei Hundstorfer, in der Gewerkschaft und bei der SPÖ auf Widerstand stoßen wird.

Fast 400.000 Menschen – inklusive Schulungsteilnehmern – waren Ende Oktober offiziell als arbeitssuchend gemeldet. Der Vizekanzler will nun den Sozialminister prüfen lassen. Es geht dabei um die Frage, ob die geltenden Zumutbarkeitsbestimmungen (Details siehe unten), wonach die Aufnahme eines neuen Jobs von Betroffenen beim Arbeitsmarktservice (AMS) unter bestimmten Bedingungen verweigert werden kann, hinderlich für die Mobilität und Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt sind. „Das muss man prüfen“, stellte Mitterlehner klar. Als Kritik an Hundstorfer wollte er dies, wie er auf Nachfrage versicherte, freilich nicht verstanden wissen.

Es geht dabei konkret unter anderem um die Regelung, dass angebotene Jobs von Arbeitslosen ab einer bestimmten Distanz der neuen Arbeitsstelle vom Wohnort aufgrund der Zumutbarkeitsbestimmungen und damit gesetzlich völlig gedeckt nicht angenommen werden müssen. Die Arbeitnehmervertreter, also Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung, haben in der Vergangenheit immer wieder beklagt, wie schwierig es sei, dass etwa ein in Ostösterreich arbeitslos gemeldeter Dienstnehmer eine Stelle in Westösterreich – beispielsweise im Tourismus – annimmt. Gewerkschaft und Arbeiterkammer haben die geltenden Zumutbarkeitsregeln hingegen für ausreichend streng angesehen und Verschärfungen abgelehnt.

Rütteln an heiliger Kuh

Zugleich rüttelte der Vizekanzler und ÖVP-Obmann an einer anderen heiligen Kuh aufseiten des Koalitionspartners SPÖ und der Gewerkschaft, der aktiven Arbeitsmarktpolitik, mit der mit immerhin rund einer Milliarde Euro viele Sonderprogramme für Beschäftigungslose finanziert werden. Diese wurde schon in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts von dem 1989 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen Sozialminister, Alfred Dallinger, im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ausgebaut. Mitterlehner äußerte nun zwei Zweifel und Unzufriedenheit mit aktiven Arbeitsmarktpolitik so: Man müsse schauen, ob „die Effizienz dieser Maßnahmen so ist, wie wir uns das wünschen“.

Faymann winkt ab

Beim Pressefoyer nach dem Ministerrat bekräftigte Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) am Freitag, was er von strengeren Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose hält – nämlich nichts: Es gebe ja nicht einen Anstieg bei der Zahl von Arbeitslosen, weil die Menschen „faul geworden sind“. Daher sei er auf keinen Fall für eine Verschärfung.

WIE DIE ZUMUTBARKEIT VON JOBS GEREGELT IST

Bedingungen für die Jobannahme. Für die Annahme neuer Arbeitsstellen über Vermittlung durch das Arbeitsmarktservice (AMS) gelten bestimmte Voraussetzungen („Zumutbarkeitsbestimmungen“): Diese Posten dürfen die Gesundheit nicht gefährden, sie müssen nach dem Kollektivvertrag oder dem ortsüblichen Gehalt entlohnt werden und dürfen nicht gegen die „guten Sitten“ verstoßen. Diese Bestimmungen sind im Kern seit Jahren unverändert, auch wenn die Wirtschaft öfters Verschärfungen gefordert hat.

Einschränkungen. Die Zumutbarkeit zu vermittelnder Jobs ist für Bezieher von Arbeitslosengeld begrenzt. Bei Vollzeitjobs darf die Wegzeit für die Anreise zwei Stunden, bei Teilzeitjobs eineinhalb Stunden nicht überschreiten. Frauen, die Kinder zu betreuen haben, müssen 16 Stunden pro Woche bereitstehen. Es gibt eine Einkommensgrenze: In den ersten 120 Tagen des Bezugs von Arbeitslosengeld muss der Lohn bei Vermittlung in einen anderen Beruf mindestens 80 Prozent des bisherigen Bruttolohns, danach mindestens 75 Prozent betragen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2014)

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