So klein ist die größte Steuerreform

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Die Reform erfüllt ihren kurzfristigen Zweck. Aber die Entwicklung seit 1975 zeigt: Die Belastung des Faktors Arbeit ist schon lang schädlich hoch. Das liegt vor allem an den Kosten der Sozialversicherung.

Wien. Was ist nun zu halten von der „größten Steuerreform der Zweiten Republik“? Viel wurde schon geklagt über die Gegenfinanzierung: Die Koalition spart nur zaghaft bei den Ausgaben und vertraut – bei Steuerbetrug und Selbstfinanzierung – stark auf das Prinzip Hoffnung. Mit dieser Kritik aber geriet das primäre Ziel oft aus dem Blick: die Entlastung bei der Lohnsteuer. Sie gilt als gut und richtig, aber auch überfällig. Der Rest an Euphorie verblasst, sobald die kalte Progression zur Sprache kommt. Ihr Effekt: Wenn Einkommen durch die Anpassung an die Inflation nominell steigen, geraten viele in höhere Tarifgruppen – und werden stärker belastet, ohne real mehr zu verdienen. Bei jeder Steuerreform geht es darum, diesen unerfreulichen Effekt zu korrigieren. Die letzte Korrektur liegt schon sieben Jahre zurück, seitdem hat sich einiges angesammelt. Und manche Berechnungen legten nahe, dass die „größte Reform“ damit zum Tropfen auf dem heißen Stein verdampft.

Eine Studie von Eco Austria liefert nun den großen Überblick. Das industrienahe Forschungsinstitut hat die Entwicklung seit 1975 untersucht. Nur das grobe Fazit war zu erwarten: Die Belastung ist in diesem Zeitraum massiv gestiegen, besonders die der besser verdienenden Leistungsträger. Aber die Details überraschen: Die Kurven steigen steil bis Mitte der 1990er-Jahre, danach verlaufen sie fast flach. Die Mehrbelastung kommt kaum aus der Einkommensteuer, sondern vor allem aus der Sozialversicherung. Und die aktuelle Reform ist zumindest in ihrer dämpfenden Wirkung besser als ihr Ruf: Sie führt die Quoten zurück auf das Niveau zu Beginn der Nullerjahre.

Freilich: Die „größte“ ihrer Art ist sie nicht, denn einen wirklich scharfen Knick lieferte nur die Lacina-Reform von 1989 (vor allem für Besserverdiener). Alle anderen Reförmchen waren in Sachen Einkommensteuer kaum der Rede wert. Die Grasser-Reform von 2004 hatte freilich ein anderes primäres Ziel: Sie entlastete die Unternehmen stark, was dieses Mal gänzlich fehlt.

Seit 1995 an der Belastungsgrenze

Das Gesamtbild bleibt freilich trüb: Dass die Belastung des Faktors Arbeit über 40 Jahre so stark zugenommen hat, ist eine schwere Bürde für die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Österreich. Die anfangs rasanten Anstiege bei den Beiträgen zur Sozialversicherung erklärt Studienautor Johannes Berger mit der großzügigen Ausweitung des Wohlfahrtsstaates. Mehr Arbeitslose und Pensionisten (durch die Alterung der Gesellschaft) taten ihr Übriges. Gegen Mitte der Neunzigerjahre war „eine Grenze erreicht, was man dem Bürger noch abverlangen kann“.

An ihr stehen wir bis heute. Rechnet man auch die zusätzlichen lohnabhängigen Kosten des Arbeitgebers (Dienstgeberbeitrag zur Sozialversicherung und Steuern auf die Lohnsumme) ein, sieht die „größte Reform“ tatsächlich ziemlich klein aus (dritte Grafik). Schicksal ist das nicht: Nur drei Industriestaaten – Frankreich, Belgien und Schweden – haben aktuell noch höhere Abgabenquoten. Und kaum ein Land stützt sein Steuersystem so stark auf die Arbeit – trotz der volkswirtschaftlich schädlichen Folgen.

Freundlicher sieht es aus, wenn man isoliert die Einkommensteuer betrachtet (erste Grafik). Dann zahlt der steuerliche Normalbürger nach vollbrachter Reform prozentuell nicht mehr als 1975. Basis ist das Medianeinkommen der unselbstständig Beschäftigten. Bei diesem Durchschnittswert verdient die Hälfte der Arbeitnehmer mehr, die andere Hälfte weniger. Der niedrige Satz – um die zehn Prozent – mag verwundern. Er erklärt sich aus den Freibeträgen und dem unversteuerten 13. und 14. Gehalt. Fügt man die Sozialversicherung dazu (zweite Grafik), verlangt der Staat dem Medianverdiener zurzeit um acht Prozentpunkte mehr ab als einst, im kommenden Jahr um fünf. Bezogen auf sein heutiges Einkommen zahlt er heuer um 2150 Euro mehr als vor vier Jahrzehnten, nach der Reform nur um rund 1400 Euro. Wirklich gut sieht es für den Geringverdiener aus. Er ist so definiert: 1975 nahm er gerade so wenig ein, dass er keine Steuer zahlen musste. Heute bekommt er sogar Geld vom Staat. Aber auch wenn man die Sozialversicherung dazurechnet, steht er nicht schlechter da als damals.

Besserverdiener als Verlierer

Der große Verlierer ist der Besserverdiener an der oberen Grenze der in der Studie betrachteten Mittelschicht. Er hat ein Gehalt an der Höchstbeitragsgrundlage zur Sozialversicherung. Seine Belastung stieg bisher, abgesehen von der Lacina-Delle, immer weiter an. Die zunehmende Progression ist für die Politik doppelt vorteilhaft: Sie kann ihre Umverteilung über (Negativ-)Steuern als sozial gerecht verkaufen und zugleich die ergiebigsten Quellen anzapfen. In diesem Sinn täuscht die fast flache Kurve bei der Einkommensteuer für den Durchschnittsverdiener. Bezieht man die Steuer nämlich auf das Gesamtvolumen der Arbeitseinkommen, dann geht an den Fiskus nun fast doppelt so viel als vor 40 Jahren – weil er sich das Geld immer stärker von denen holt, die es haben.

AUF EINEN BLICK

Eine Studiedes industrienahen Wirtschaftsforschungsinstitut Eco Austria hat die Entwicklung der Abgabenbelastung seit 1975 untersucht. Die Belastung ist demnach seit Mitte der Siebzigerjahre massiv gestiegen. Eine Mehrbelastung ergab sich vor allem bei der Sozialversicherung. Dabei erfolgte der Großteil des Anstiegs bis Mitte der 1990er-Jahre, danach stieg die Kurve nur noch flach an. Die aktuelle Steuerreform werde die Quoten auf das Niveau zu Beginn der Nullerjahre zurückführen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2015)

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Kommentare

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Sie hätte für starken Rückenwind für die mehr oder weniger schwächelnden Koalitionspartner sorgen sollen – vor allem bei den drei Landtagswahlen.

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