Staatsoper 4.0: Die Kulturpolitik des Kabinetts Kern

The designated director of Vienna State Opera, Roscic, addresses a news conference in Vienna
The designated director of Vienna State Opera, Roscic, addresses a news conference in Vienna(c) REUTERS (LEONHARD FOEGER)
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Der ehemalige Ö3-Chef Bogdan Roščić wird neuer Direktor der Wiener Staatsoper. Eine durchaus ungewöhnliche Entscheidung. Aber doch eine mit System.

Unkonventionelle, ungewöhnliche Entscheidungen. Das wünsche er sich künftig bei Bestellungen, bei denen die Regierung, jedenfalls der SPÖ-Teil davon, die Entscheidungshoheit habe. Diese Vorgabe soll Bundeskanzler Christian Kern seinen wichtigsten Mitstreitern schon vor Längerem mitgegeben haben.

Thomas Drozda, sein engster Mitstreiter im Kanzleramt und SPÖ-Regierungskoordinator, hält sich jedenfalls daran. Zumal man für solche unkonventionellen, ungewöhnlichen Entscheidungen oft nicht weit herumzusuchen braucht. Bogdan Roščić beispielsweise kennt Thomas Drozda schon lang. Und der künftige, von ihm gestern vorgestellte Staatsoperndirektor ist in der Tat eine unkonventionelle, ungewöhnliche Bestellung.

Bogdan Roščić war in den Neunzigerjahren Ö3-Chef. Drozda war damals – wie auch Christian Kern – im Bundeskanzleramt tätig. Im Kabinett des damaligen Bundeskanzlers, Franz Vranitzky, war Drozda ab 1996 für Kunst und Kultur zuständig. Beim eigentlichen Kulturminister, Rudolf Scholten, arbeitete zur selben Zeit eine gewisse Stella Rollig als Bundeskuratorin für bildende Kunst. Unlängst bestellte Drozda die Direktorin des Lentos-Museums in Linz, Stella Rollig, zur neuen Chefin des Wiener Belvedere.

Und nun also Bogdan Roščić. Damit ist auch eine Generationsablöse vollzogen. Auf den 61-jährigen Dominique Meyer folgt 2020 für vorerst fünf Jahre der 52-jährige Musikmanager. Mit dem ehemaligen Popkritiker – seine Karriere begann er in der „Presse“ – und Ö3-Chef Roščić, der seit zehn Jahren im Klassikgeschäft ist und als „Miterfinder“ der Superdiva Anna Netrebko gilt, übernimmt ein Medienexperte die Staatsoper. Die vergangenen sieben Jahre hat der ehemalige „Starmania“-Juror Roščić die Klassiksparte von Sony Music geleitet.

Kulturminister Drozda hofft auf „neue positive Weichenstellungen“, darauf, dass Roščić die besten Dirigenten und Solisten gewinne, aber auch für Ensemblepflege sorge und die Digitalisierung der Staatsoper vorantreibe – in Richtung „Staatsoper 4.0“. Ein Schlagwort, das Drozda auf Journalistenfragen nicht näher erklären konnte oder wollte. Ein Hintergrund könnte sein, dass die Oper neue Einnahmequellen erschließen muss, etwa über Bezahlfernsehen. Da kann Roščićmit Kontakten und Erfahrung hilfreich sein.

Von großer Bedeutung ist, dass die Wiener Philharmoniker, die faktisch das Staatsopernorchester sind, für ihn votiert haben, vielleicht weil er sie international medial besser platzieren könnte. Von den Musikern hängt es ab, ob der lang gehegte Wunsch von Staatsopernchefs nach mehr Neuproduktionen, die durch die Konzerttermine der Philharmoniker limitiert sind, in Erfüllung geht.

Ebenso wichtig ist, dass der amtierende Staatsoperndirektor, Dominique Meyer, der sich um eine Verlängerung beworben hat, nicht vorzeitig das Handtuch wirft, bevor Roščić kommt. Drozda betonte daher mit Nachdruck, die Staatsoper sei in bester Verfassung, gut ausgelastet, gut geführt. Meyer bedauerte am Mittwoch zwar, dass sein Vertrag auslaufe, versprach aber, er werde seine Aufgabe bis zum Ende seiner Amtszeit 2020 „mit demselben Engagement wie bisher“ erfüllen. Freilich, so Meyer auch: „Ich meinerseits werde neue Wege beschreiten.“

20 Personen haben sich beworben

Insgesamt haben sich 20 Personen beworben. Als Favoriten galten etwa Nikolaus Bachler, Direktor der Bayerischen Staatsoper in München, oder Elisabeth Sobotka, Intendantin der Bregenzer Festspiele. Roščić hatte erst nach Aufforderung ein Konzept für die Staatsoper abgegeben. Drozda war offenbar – ganz im Sinne seines Kanzlers – um eine Überraschung bemüht.

Allerdings, so groß ist diese nun auch wieder nicht, denn der ehemals „wilde“ Bogdan Roščić, der das vielleicht gar nie so wirklich war, sondern stets ein zielstrebiger Karrierist, hat kein branchenfremdes Vorleben: In Belgrad geboren, wuchs er in Linz auf und studierte in Wien Philosophie und Musikwissenschaften, über Theodor W. Adornos Musiktheorien hat er promoviert (siehe Seite 2).

Heute lebt Roščić in New York. Dort sehe es für die Oper eher düster aus: In der Met bleibe selbst an Abenden mit populären Werken wie „Cavalleria rusticana“ jeder zweite Platz frei. Das Publikum hätte eben Alternativen: „Breaking Bad“ auf Netflix oder leger mit einer Tüte Popcorn ins Kino gehen.

Die Generation Ö3 in die Oper zu bringen – wem, wenn nicht dem ehemaligen Chef, soll das gelingen?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2016)

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