Rot-Grün in der Negativspirale

Michael Häupl und Maria Vassilakou kamen zuletzt auf keinen rot-grünen Zweig.
Michael Häupl und Maria Vassilakou kamen zuletzt auf keinen rot-grünen Zweig.(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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In Wien waren die Koalitionsparteien zuletzt mehr mit sich selbst als mit der Arbeit für die Stadt beschäftigt. Nun soll die Paralyse beendet werden - eine Analyse.

Wien. Die erste rot-grüne Koalition Österreichs auf Landesebene endete zunächst ernüchternd – für die SPÖ genauso wie für die Grünen. Von einer Neuauflage dieser zerstrittenen Koalition, die vor etwa einem Jahr installiert wurde, war deshalb wenig zu erwarten – hatte Rot-Grün II doch so begonnen, wie Rot-Grün I geendet hatte: mit einem handfesten, öffentlich ausgetragenen Streit.
Heute läuft die rot-grüne Wiener Koalition dagegen vergleichsweise harmonisch. Das wurzelt nicht in der grundsätzlich funktionierenden Chemie zwischen Bürgermeister Michael Häupl und der grünen Vizebürgermeisterin, Maria Vassilakou. Vielmehr sind SPÖ und Grüne seit der Wien-Wahl ausschließlich mit sich selbst beschäftigt. Womit die Regierungsarbeit in Wien de facto stillsteht, Visionen oder große Leuchtturmprojekte – wie es die Neugestaltung der Mariahilfer Straße gewesen ist – ohnedies im Programm gefehlt haben.

Und heute kämpft Rot-Grün auch mit einer Negativspirale: Das sind Probleme im Gesundheitsbereich mit der Kostenexplosion des Milliardenprojekts Krankenhaus Nord, streikende Ärzte und eine immer deutlich sichtbarere Zweiklassenmedizin in Wien – bei der Patienten privat zahlen müssen, wollen sie lange Wartezeiten auf (teilweise lebenswichtige) Untersuchungen, z. B. bei einem Tumorverdacht, vermeiden.

Im Kindergartenbereich wird nicht über die Förderung von Kindern diskutiert, sondern über islamistische Tendenzen in manchen Kindergärten, die eine Vorstudie geortet hat.

Debatten über Pleiten, Betrug

Dazu kommt ein Förderbetrug in Millionenhöhe durch einen Kindergartenbetreiber – wobei nicht durchgeführte Kontrollen durch die Stadt Wien diesen mutmaßlichen Förderbetrug überhaupt erst ermöglicht haben sollen. Öffentlich diskutiert wurde auch über die Pleite der Alt-Wien-Kindergärten im vergangenen Sommer, womit 2300 Kinder plötzlich fast auf der Straße gestanden wären. Wobei auch hier die Ursache eine missbräuchliche Verwendung von Fördergeldern sein soll, die durch fehlende Kontrollen durch die zuständigen Stellen des Magistrats erst ermöglicht worden sein soll.

Dazu kommt noch die Schuldenexplosion der Stadt Wien. Bei all diesen Problemen in SPÖ-geführten Ressorts hielten sich die Grünen vornehm zurück. Sowohl, was die Kritik betrifft, als auch bei der Verteidigung des Koalitionspartners.

Die Vorgeschichte dieser Situation reicht in das Jahr 2010 zurück. Als die erste rot-grüne Landesregierung Österreichs aus der Taufe gehoben wurde, sah das (nicht nur) die grüne Bundessprecherin, Eva Glawischnig, als eine Art Testlauf für eine rot-grüne Koalition auf Bundesebene; selbst wenn bereits damals klar gewesen sein musste: SPÖ und Grüne sind meilenweit von einer Mehrheit bei Nationalratswahlen entfernt.

Nur: Zwischen SPÖ und Grünen entwickelten sich in Wien während der Zusammenarbeit immer massivere Reibereien, die im März 2015 fast in einem Koalitionsbruch mit vorgezogenen Neuwahlen gipfelten. Im rot-grünen Konflikt um ein neues Wahlrecht lief der grüne Gemeinderat ?enol Akkılıç vor der entscheidenden Abstimmung zur SPÖ über. Diese konnte damit im letzten Moment verhindern, beim Wiener Wahlrecht überstimmt zu werden. Die schwer brüskierten Grünen stellten wütend ein Ende der Zusammenarbeit in den Raum, blieben allerdings dann doch in der Koalition.

Flügelkämpfe in der SPÖ

Dann kam der 11. Oktober 2015, dessen unerwartete Folgen erst im heurigen Jahr sichtbar wurden und auch das Jahr 2017 politisch dominieren werden. Bei der Wien-Wahl 2015 konnte die SPÖ trotz Verlusten überraschend deutlich Platz eins vor der FPÖ verteidigen – durch die Mobilisierung einer breiten Allianz gegen die FPÖ, getragen von der damals dominierenden Refugees-welcome-Stimmung.

Die SPÖ feierte. Der Ex-Grüne Akkılıç kam in der SPÖ-Bildungsakademie unter (er hatte das angeblich bereits versprochene SPÖ-Mandat stimmenmäßig knapp verpasst). Und die Grünen, der einzige realistische Koalitionspartner nach dem ÖVP-Desaster, gingen auf Tauchstation. Immerhin hatte Frontfrau Maria Vassilakou öffentlich ihren Rücktritt angekündigt, falls die Grünen ein Minus beim Wahlergebnis einfahren würden.

Die Grünen fuhren ein Minus ein, Vassilakou wollte von Rücktritt nichts wissen. Die darauf folgende Stille der Grünen ging fließend in die Ruhe des Präsidentenwahlkampfs über – um die Chancen von Alexander Van der Bellen nicht zu gefährden, der schließlich die Präsidentenstichwahl im zweiten Anlauf dann auch gewann.

Die SPÖ hatte unterdessen ein Problem. Nach der Silvesternacht von Köln mit massiven sexuellen Übergriffen von Migranten auf Frauen und diversen Vorfällen auch in Österreich begann sich die Stimmung in der Bevölkerung zu drehen. Ein Flügelkampf zwischen der Refugees-welcome-Fraktion rund um Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely und den Befürwortern einer strengeren Asyllinie, die in den Außenbezirken beheimatet sind, rund um den Donaustädter SPÖ-Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy, war die Folge. Ein harter, öffentlicher Schlagabtausch folgte, der schließlich zur Demontage von Bundeskanzler Werner Faymann und nun zu einer offenen Diskussion um die Nachfolge von Michael Häupl führte – auch, nachdem die SPÖ bei der Wiederholung der Bezirksvertretungswahl in der Leopoldstadt ein Debakel erlitten hatte.

Ende der Paralyse

Die Zeit der Paralyse neigt sich aber dem Ende zu. Die Grünen müssen sich nach dem Ende des überlangen Präsidentschaftswahlkampfs nicht mehr zurückhalten, und die leeren Stadtkassen beziehungsweise das Flüchtlingsthema lassen die vertagten koalitionsinternen Auseinandersetzungen wieder aufleben.
Als Sozialstadträtin Wehsely zuletzt eine jahrelange Wartepflicht für neu zugezogene Mindestsicherungsbezieher (also vor allem Flüchtlinge) ansprach, sorgte das für einen wütenden Protest samt Veto Maria Vassilakous.

Als die Wien Holding, die zur Stadträtin Renate Brauner ressortiert, einen Verkauf der Marx-Halle ventilierte, folgte ebenfalls umgehend ein striktes Nein von Vassilakou. Das grüne Stillhalten ist also offenbar vorbei.
Die roten Probleme sollen im Jänner bei der SPÖ-Vorstandstagung gelöst werden. Und dann könnte die rot-grüne Koalition die Arbeit in der Koalition Rot-Grün II aufnehmen. Nach mehr als einem Jahr Pause.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.12.2016)

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