Kämpfer gegen parallele Welten

(c) Michaela Bruckberger
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Der türkische Botschafter Selim Yenel hatte einen klaren Auftrag, als er vor drei Jahren nach Wien kam. Er sollte die Skepsis der Österreicher gegen einen EU-Beitritt der Türkei abmildern. Dabei stieß er schnell auf ein anderes Integrationsproblem.

Die Geschichte ließ den blonden türkischen Botschafter auch in seiner Freizeit nicht los. Die Familienspaziergänge führten Selim Yenel (53), seine dreijährige Tochter Irem und seine Frau Serap an Sonntagen meistens auf Kieswegen und durch kunstvoll gestutzte Hecken in Nachbars Garten in den barocken Schlosspark des „Türkenbezwingers“ Prinz Eugen. „Schauen Sie einmal genau hinauf“, sagte er bei seinem Abschiedsinterview mit der „Presse am Sonntag“ und zeigte auf das Dach des Oberen Belvederes. „Wissen Sie, woran die Konstruktion erinnern soll? An ein Zelt türkischer Belagerer.“

Die Gespenster der habsburgisch-ottomanischen Vergangenheit verfolgten Selim Yenel während seiner dreieinhalbjährigen Dienstzeit in Österreich auf Schritt und Tritt. Und doch waren die Mythen, die sich um die Türkenbelagerungen ranken, noch seine geringsten Sorgen. „Integration“ war das Schlüsselwort, das die Sisyphusarbeit des türkischen Botschafters prägte, in zweifacher Hinsicht.


Troubleshooter. Selim Yenel, einer der fähigsten Diplomaten seines Landes, war nach Wien entsandt worden, um die tiefe österreichische Skepsis gegen die Integration der Türkei in die EU abzumildern. Dabei kam er schnell zum Schluss, dass die mangelnde Integration der türkischen Minderheit in Österreich den Nährboden für die antitürkische Grundstimmung bildet. Und weil er ein unheilbarer Optimist ist, hat er dafür eine positive Formel gefunden: „Das Problem ist die Lösung. Wenn sich das Image der in Österreich lebenden Türken ändert, dann schwindet auch der Widerstand gegen einen EU-Beitritt.“ Bei jeder Gelegenheit redete Selim Yenel deshalb auf die Türken in Österreich ein. Immer wieder drängte er sie, Deutsch zu lernen, auf eine gute Ausbildung ihrer Kinder zu achten und nicht unter sich zu bleiben.

„Wir müssen verhindern, dass Parallelgesellschaften entstehen“, sinniert der türkische Botschafter auf einer Parkbank im Belvedere-Garten. Dabei kann und will Selim Yenel auch die österreichische Regierung nicht aus der Verantwortung entlassen. Er hat geglückte Integrationsversuche gesehen, im dritten Wiener Bezirk oder auch in Linz, er hat verschiedenste Ansätze im ganzen Land registriert. Nur eines konnte er beim besten Willen nicht erkennen: eine umfassende Integrationsstrategie. „Die Migranten würden sich mehr öffnen, wenn sie willkommen wären,“ glaubt er. „Türkische Jugendliche würden weniger Zusammenhalt in Gangs suchen, wenn man ihnen das Gefühl gäbe, zu Österreich zu gehören.“ Selim Yenel hofft nur, dass nicht auch noch die SPÖ auf den Ausländerkurs der FPÖ umschwenkt.


Korb von Dichand. Ein Schwarzmaler aber ist der Diplomat nicht. Er hat auch viele gut integrierte Türken in Österreich kennengelernt. Die Elite sei zu wenig sichtbar in der Öffentlichkeit, beklagt er, und hat doch Verständnis dafür. „Die Erfolgreichen sind mit ihrem eigenen Leben beschäftigt.“

Selim Yenel versuchte einiges, um das Türkei-Bild in Österreich aufzuhellen. Er richtete ein Internetdialogforum ein, ließ DVDs anfertigen und in Schulen verteilen, er sprach mit so ziemlich allen: Heinz-Christian Strache sagte ihm, er habe gar kein Problem mit Türken. Jörg Haider erklärte ihm, er sei für den EU-Beitritt der Türkei. Josef Cap meinte, er sei dagegen. Wolfgang Schüssel sorgte sich um den freien Zuzug türkischer Arbeitnehmer. Nur einer fand nie Zeit für ihn: Hans Dichand, der Herausgeber der „Krone“. „Schade“, sagt Selim Yenel, dessen Großmutter mütterlicherseits, Gertrud, aus Frankfurt kam, auf Deutsch.

Messbare Erfolge konnte er in Wien nicht erzielen. 95 Prozent der Österreicher lehnen einen EU-Beitritt der Türkei ab – ein Höchstwert in Europa. Keine Großpartei setzt sich dafür ein, nur die Grünen – auch das einzigartig auf dem Kontinent. Und die Probleme mit Zuwanderern sind immer noch ein Dauerbrenner – wie fast überall. „Ich hoffe, meine Saat geht auf, vielleicht dauert es noch zehn Jahre.“ Wenn Selim Yenel das sagt, klingt es resigniert und zuversichtlich zugleich.

Es verband ihn viel mit Österreich. Seine Großeltern, während des Ersten Weltkriegs in Wien gestrandet, heirateten in der Botschaft in der Prinz-Eugen-Straße. Dort, wo er arbeitete und wohnte. Dort, wo seine Spaziergänge begannen und endeten. Inzwischen hat ihn Außenminister Ahmet Davutoglu nach Ankara zurückgeholt. Selim Yenel leitet nun die Europa-Sektion.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2009)

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