Zeitzeugen berichten: "Oktoberstreik" 1950 - KP-Putschversuch?

Bis heute gibt es völlig unterschiedliche Einschätzungen der Tumulte in Wien und in vielen österreichischen Industriestandorten.

„Die Welt bis gestern“ berichtete am 18. und 25. Sept. 2010 ausführlich.

Seit der Öffnung der relevanten Akten im Rahmen unseres Forschungsprojektes über die Rote Armee in Österreich scheint klar zu sein, dass es keine Anordnungen aus Moskau gab, die Streiksituation in Österreich auszunutzen. Dokumente der sowjetischen Führungsspitze zeichnen eher ein anderes Bild, nämlich in Österreich Ruhe zu bewahren. Die Lage in Österreich stand nur einmal auf der Tagesordnung des Politbüros. Ein Bericht Andrej Gromykos an Stalin, den wir auch auf der Schallaburg 2005 gezeigt haben, zeigt, dass die Ereignisse ihren Gang liefen. Dies beantwortet zwar nicht die Frage, ob der „Aktionsplan“ der KPÖ tatsächlich existierte, ob es einen Kreis von Leuten in der KP gab, die die Chance nutzen wollten oder ob es sich bei dem im Umlauf gebrachten „Putschplan“ um ein Fabrikat westlicher Geheimdienste handelte. Ich tendiere eher zu letzterer Behauptung und sehe es als geschickten Schachzug, um den „Teufel an die Wand“ zu malen und so demokratisch Gesinnte auf den Plan zu rufen.

Dr. Peter Ruggenthaler

Ludwig Boltzmann-Institut
für Kriegsfolgenforschung, Graz

In der von Ihnen erwähnten „hitzigen Nationalratsdebatte“ am 12. Oktober 1950 sprach Bruno Pittermann (S) nicht als Vizekanzler – der hieß damals Adolf Schärf und hatte diese Funktion noch bis 1957 inne. Erst dann war Pittermann Vizekanzler.

Karl Danninger(E-Mail)

Nur im Schaukasten informiert

Ich war im Oktober 1950 gerade in der 2. Klasse des Gymnasiums angekommen und ging täglich von unserer Wohnung in der Linzer Straße (französische Zone) ins Bundesgymnasium Wien XIII in der Fichtnergasse (britische Zone). Bei uns hat man von Unruhen nichts bemerkt. Allerdings habe ich damals schon Zeitung gelesen: Zu Hause hatten wir die „Presse“ abonniert, und unfern unserer Wohnung befand sich eine SPÖ-Sektion, welche die „Arbeiter-Zeitung“ im Schaukasten ausgehängt hatte, sodass ich auch dort „mitlesen“ konnte; und so hatte ich damals ein wenig von den Unruhen mitbekommen. Ob allerdings die Sache im Familienkreis besprochen wurde, weiß ich nicht mehr.

Einer meiner Onkeln war damals stv. Leiter des Verkehrsamtes der Bundespolizeidirektion, die zu dieser Zeit am Parkring untergebracht war; er konnte von seiner Wohnung in Penzing offenbar unangefochten zum Stadtpark fahren und dann quer durch den Park seine Dienststelle erreichen.

Prof. Mag. Hermann Möcker

1140 Wien

Gefahr auf der Triester Straße

Ende September 1950 beauftragte mich mein Vater, ihn bei der Dachgleichfeier der schwer bombengeschädigten Wiener Neustädter Burg in der St.-Georgs-Kapelle zu vertreten, in der Maximilian I. begraben liegt. Es waren unruhige Tage mit Streiks, die in einem kommunistischen Putschversuch kulminierten. Dass dieser schließlich fehlschlug, verdankt Österreich vor allem dem Gewerkschaftsführer Franz Olah mit seinen Bau- und Holzarbeitern. Den Beginn dieser dramatischen Ereignisse erlebte ich recht hautnah auf dem Wege zu dem Festakt in Wr. Neustadt mit. Am Morgen fuhr ich mit dem Auto die Triesterstraße stadtauswärts. Da merkte ich, dass die Badner Bahn quer über der Straße stand, umringt von Menschen. Die Straße war dadurch blockiert, und ein Rudel von Streikposten begrüßte mich mit Drohgebärden. Ich machte, nur zwanzig Meter von ihnen entfernt, eine filmreife Kehrtwendung auf der breiten Straße und fuhr auf Nebenstraßen nach Wr. Neustadt. Dort wurde ich als erstes Auto begrüßt, das an diesem Tage aus Wien eintraf. Der weitaus wichtigere Ehrengast, Justizminister Otto Tschadek, langte erst eine gute Stunde nach mir ein. Er war Sozialist, gleichzeitig aber auch praktizierender Katholik, damals noch eine ausgesprochene Seltenheit.

Martin Pfundner

1100 Wien

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2010)

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