Tausende Abschiebungen stehen noch bevor

Tausende Abschiebungen stehen noch
Tausende Abschiebungen stehen noch(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Fragen und Antworten: Warum Familie K. nach Österreich zurückdarf. Und wieso es überhaupt so viele Fälle von abgelehnten Asylwerbern gibt, deren Verfahren jahrelang dauerten.

Wien. Innenministerin Maria Fekter pocht darauf: Es gibt keinen Kursschwenk in der Asyl- und Fremdenpolitik. Nicht ihre Linie sei falsch, sondern bei der Vollziehung der Gesetze seien Fehler passiert. Trotzdem gibt es eine Reihe von Fragen – sowohl zum aktuellen Fall als auch zur künftigen Asylpolitik und Abschiebepraxis.

1. Warum wird der Fall der Familie K. mit den achtjährigen Zwillingen neu aufgerollt?

Laut Innenministerin Maria Fekter hat ihr Ministerium bemerkt, dass bei der Entscheidung über ein humanitäres Aufenthaltsrecht Fehler gemacht wurden. Der Bescheid des Magistrats Steyr für die Mutter, die sich noch in Österreich befindet, wurde aufgehoben, das Magistrat Wien (wo die Mutter jetzt lebt) muss neu entscheiden. Für den Vater und die Zwillinge kann es erst ein neues Verfahren geben, wenn sie sich wieder in Österreich befinden.

2. Wann dürfen der Vater und die Zwillinge wieder nach Österreich zurück?

Fix ist noch nichts, aber sie dürfen ein humanitäres Visum beantragen. Bewilligt wird es, wenn alle Voraussetzungen wie beispielsweise eine Unterkunft gegeben sind. Sollte das der Fall sein, kann es mit der Rückkehr sehr schnell gehen.

3.Wer hat in diesem Fall welche Fehler begangen?

Laut Fekter hat das Magistrat Steyr es verabsäumt, die Ablehnung des humanitären Bleiberechts zu begründen. Der Bürgermeister von Steyr wehrt sich: Er habe das Bleiberecht befürwortet, sei aber an die negative Stellungnahme der oberösterreichischen Sicherheitsdirektion gebunden gewesen. Er hätte aber trotzdem ein Bleiberecht verordnen können, kontert Fekter. Stimmt nicht, sagt die grüne Migrationssprecherin Alev Korun: Das Innenministerium habe in Berufungsverfahren die Linie vorgegeben, dass es bei einer negativen Stellungnahme der Sicherheitsdirektion kein Bleiberecht geben kann.

4. Was passiert jetzt in den anderen Fällen, in denen Kinder abgeschoben werden sollen?

Einen Abschiebestopp oder ein generelles Bleiberecht, wie es manche Hilfsorganisationen fordern, wird es nicht geben. Wenn die Eltern straffällig werden, wird auch abgeschoben, wenn es Kinder gibt, sagt Fekter. Sie will auch keine Gesetze ändern, sich aber die Vollziehung genau ansehen. So sollen alle Fälle, in denen Kinder betroffen sind, unter Einbindung des Menschenrechtsbeirats nochmals geprüft werden.

5. Um wie viele Fälle geht es dabei überhaupt?

1250 Anträge liegen derzeit beim Asylgerichtshof, weitere 800 beim Verwaltungsgerichtshof. Bei wie vielen davon es weder Asyl noch humanitäres Bleiberecht geben wird, lässt sich noch nicht abschätzen. Dazu gibt es noch rund 1000 Altfälle, bei denen die Verfahren schon abgeschlossen und Abschiebungen geplant sind. Der nächste Fall wartet aber bereits: In Oberösterreich steht eine mazedonische Familie mit zwei Kindern, die vor acht Jahren nach Österreich eingereist ist, vor der Abschiebung.

6. Warum warten überhaupt so viele jahrelang auf eine Asylentscheidung?

Aus zwei Gründen: erstens, weil Asylwerber bzw. die sie unterstützenden Hilfsorganisationen mit einer Vielzahl von Anträgen die Verfahren selbst verschleppt haben, und zweitens, weil manche Behörden zumindest in der Vergangenheit sehr langsam gearbeitet haben. So hat der Unabhängige Asylsenat – Vorgänger des heutigen Asylgerichts – einen „Rucksack“ von mehr als 20.000 Verfahren aufgebaut; das führte zu jahrelangen Verfahrensdauern. Auch der Verwaltungsgerichtshof, den man bis 2008 noch anrufen konnte, hat für Entscheidungen oft mehrere Jahre gebraucht. Mit der seit Mitte 2008 geltenden Gesetzeslage sollten die Verfahren nicht mehr so lange dauern.

7. Muss es für Asylwerber überhaupt Berufungsmöglichkeiten geben?

Ja. Zwar steht in der Genfer Flüchtlingskonvention nichts über einen Instanzenzug. Und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) beinhaltet das Asylrecht nicht (indirekt verbietet die EMRK aber die Abschiebung von Menschen, denen in der Heimat Folter droht). Das EU-Recht jedoch verlangt einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht oder einem Tribunal. In Österreich werde dieser Pflicht durch die Beschwerdemöglichkeit beim Asylgerichtshof nachgekommen, erklärt Experte Gerhard Muzak von der Uni Wien. Ans Asylgericht kann man sich wenden, wenn man vom Bundesasylamt einen negativen Bescheid bekommen hat. Dass Asylwerber seit Mitte 2008 nicht mehr den Verwaltungsgerichtshof anrufen dürfen, sei international gedeckt, meint Muzak. Nicht einmal die (nach wie vor mögliche) Anrufung des Verfassungsgerichtshofs werde völkerrechtlich vorgegeben. Allerdings sei diese Anrufungsmöglichkeit ein Grundpfeiler der österreichischen Verfassung.

8. Auf welchen Voraussetzungen beruht ein humanitäres Bleiberecht?

Für all jene, die seit Mai 2004 nach Österreich gekommen sind, prüfen die Behörden automatisch die Möglichkeit eines Bleiberechts. Für Altfälle gibt es ein eigenes Verfahren. Kriterien für die Zuerkennung sind beispielsweise Unbescholtenheit, die Fähigkeit, sich selbst zu erhalten, Arbeitsplatz, Wohnung sowie eben auch der Grad der Integration.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2010)

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