Wladimir von Hartlieb: „Du heilige Gemarterte. . .!“

Ein erfolgloser, spielsüchtiger Schriftsteller im Abgrund des 20. Jahrhunderts als Hauptfigur einer pikanten Dreiecksgeschichte.

Drei Freunde in der Zeit zwischen den beiden großen Kriegen. Sie stammen aus „gutem Haus“, der eine Schulkollege aus dem Theresianum kann die beiden anderen mit seinem reichen Erbe aushalten. Sie werden Spieler, ob sie ihre brieflich angedeuteten homoerotischen Neigungen ausgelebt haben, wird ein Geheimnis bleiben.

Friederika Richter hat im Nachlass der „Hauptfigur“, des heute unbekannten Dichters Wladimir von Hartlieb, 1700 Briefe in der Nationalbibliothek gesichtet und in den zeitlichen Rahmen gestellt. Die pikante Dreiecksgeschichte zwischen dem erfolglosen und spielsüchtigen Schriftsteller, dessen homosexuellem jüdischen Mäzen Kurt Redlich und Wladimirs geheimnisvoller Frau Milla begann in den Zwanzigerjahren und nahm unter Hitler ein tragisches Ende. Mit hohem Einsatz strebten sie nach Glück und verspielten am Ende ihr Leben. Ob Milla Jüdin war, ist ungewiss. Tatsache bleibt, dass Wladimir den nationalsozialistischen Jubeltext „Parole: Das Reich!“ verfasst hat. Vielleicht nur aus taktischen Gründen, um Milla zu helfen.

Im KZ Theresienstadt kreuzten sich Millas und Redlichs Wege ein letztes Mal. Am 10. November 1942 mussten alle Lagerinsassen auf freiem Feld antreten und dort zwanzig Stunden stehen bleiben, weil zwei Häftlinge geflohen waren. In den folgenden Tagen starben über tausend Menschen an den Folgen dieser grausamen Strafe, auch Milla war dabei.

Ein geläuterter Nazi

Wladimir hingegen heiratete eine neue Mäzenin. Nächtens verfasste der geläuterte Nazi Liebesgedichte und herzzerreißende Klagen an Milla: „Briefe an eine Tote“: „Was habe ich in jenen zwanzig Stunden getan, die Milla in Theresienstadt in eisiger Kälte auf freiem Feld verbringen musste? Und in denen sie sich den Tod holte? Zwanzig Stunden! Du heilige Gemarterte! . . .“ Am 27.Mai 1945 notiert der längst von allen NS-Illusionen Befreite: „Als ich heute die Zeitung durchsah, traf mich ein Schock. Seit Wochen schon liest man von den furchtbaren Greueltaten der Hitlerschergen in den besetzten Ländern und von den Menschenvernichtungslagern. Heute bringt die Zeitung zum ersten Mal Berichte von Heimgekehrten aus Theresienstadt. Ich taumle.“ Er starb nach Kriegsende als gebrochener Mann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2011)

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