Wien: Die Demometropole

Wien Demometropole
Wien Demometropole(c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET)
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Mehr als 10.700 Kundgebungen wurden 2010 in Wien angemeldet. Bei Groß-Demos wie jener vom Freitag gegen den Ball der Burschenschafter in Wien müssen Polizisten aus halb Österreich zur Unterstützung anrücken.

Ausnahmezustand in Wien: In der Nacht auf Samstag standen bei der (nicht genehmigten) Demonstration gegen den Ball der Burschenschafter in Wien (WKR-Ball) 1200 Polizisten knapp 400 Demonstranten gegenüber. Zur personellen Unterstützung der Wiener Polizei mussten zahlreiche Beamte aus anderen Bundesländern in die Bundeshauptstadt abkommandiert werden. In mehreren Bezirken gab es abwechselnd Straßensperren. Die in Kleingruppen durch die Stadt ziehenden Ball-Gegner versuchten, mit der Exekutive Katz-und-Maus zu spielen. Sie warfen Verkehrszeichen um, setzten Müllcontainer in Brand, beschädigten Polizeifahrzeuge und schossen die Auslagenscheibe eines Kleidergeschäftes ein. Die Polizei nahm vier Personen fest. Von 160 wurden die Personalien aufgenommen.

Auch wenn derartige Groß-Demos nur zwei- bis dreimal im Jahr stattfinden, hatten die Verwaltungsjuristen der Wiener Polizei im vergangenen Jahr alle Hände voll zu tun: Sie mussten nicht weniger als 10.701 Kundgebungen und Demonstrationen überprüfen und über eine Genehmigung entscheiden. Ein neuer Rekord. In den Jahren 2004 bis 2008 fanden stets „nur“ zwischen 4000 und 6000 öffentliche Versammlungen statt. Im Jahr 2009 waren es dann bereits 7.261. Statistisch gesehen, gab es somit im vergangenen Jahr pro Tag 29 Demonstrationen in Wien. In Hamburg mit etwa gleich vielen Einwohnern und einer ausgeprägten „Demo-Kultur“ wurden 2009 knapp 1000 öffentliche Kundgebungen angemeldet.

Die Wiener Polizei meint selbst, dass 2010 ein „Ausnahmejahr“ war. Im Oktober gab es die Wien-Wahl. Und in Wahljahren sei bei der Anzahl der Demonstrationen immer ein Ausreißer nach oben bemerkbar, meint ein hoher Verwaltungsjurist der BPD Wien. Dennoch sind nur ein geringer Teil davon Demonstrationszüge, die sich durch die Straßen schlängeln. Es gibt auch Kundgebungen, die zwar angemeldet werden müssen, aber von der Öffentlichkeit praktisch unbemerkt stattfinden. Beliebte Plätze für derartige Kleinst-Demos sind etwa die Mariahilfer Straße oder das Schottentor. Durch die hohe Frequenz der Passanten hoffen die Veranstalter an diesen Orten auf eine gewisse Aufmerksamkeit.

Das Büro für Versammlungsangelegenheiten der Wiener Polizei prüft, ob Sicherheitsbedenken bestehen bzw. ob und wie viele Polizisten abkommandiert werden. Bei kleinen Kundgebungen, die auch keine Verkehrsbeeinträchtigungen nach sich ziehen, ist nicht zwingend die Exekutive anwesend. Andere kleinere Versammlungen werden von den Polizisten aus den Bezirken überwacht. Vor jedem Wochenende verschickt das Versammlungsbüro an die Beamten in den Bezirken eine Aufstellung jener Kundgebungen, die dort stattfinden. „Normalerweise sind das vier bis fünf Seiten. An einem Wochenende vor der Wien-Wahl haben wir für dann plötzlich 45 Seiten verschickt“, berichtet ein Beamter der „Presse am Sonntag“.

Kritik an Demo-Verbot

Personalintensiver wird es dann bei Demos, die Straßensperren erforderlich machen oder bei denen Ausschreitungen befürchtet werden. In dieser Liga spielen die Kundgebung gegen den Opernball (auch wenn diese in den vergangenen Jahren keinen Zulauf mehr hat, gibt es nach wie vor ein hohes Polizeiaufgebot) sowie eben die Demo gegen den Ball des Wiener Korporationsrings. Dann richtet die Polizeiführung – und das war an diesem Wochenende der Fall – ein eigenes Lagezentrum ein. Zudem wird personelle Unterstützung aus den Bundesländern angefordert. Anlässlich der Fußball-Europameisterschaft 2008 gab es für jene Beamten aus den Bundesländern, die häufig zu Einsätzen nach Wien beordert werden, geografische Schulungen. Sie müssen sich in Wien auskennen, um bei Lageänderungen rasch den Einsatzort wechseln zu können.

Alarmstufe Rot herrscht dann, wenn die Polizei aufgrund der Sicherheitslage zu dem Schluss kommt, keine Demonstration zu genehmigen. Zwar waren im Vorfeld des Burschenschafter-Balls gerade wegen des Verbots Krawalle befürchtet worden – Randale, wie es sie in den vergangenen Jahren gegeben hatte, blieb letztlich aber aus.

Linksgruppierungen, Grüne und SPÖ sehen im Verbot dennoch einen Skandal. SP-Justizsprecher Hannes Jarolim kündigte am Wochenende eine parlamentarische Anfrage an die Innenministerin zum Demo-Verbot an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30. Jänner 2011)

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