Der Rauswurf aus dem Stammlokal und die Konflikte mit Landesgruppen. Die Piraten sind vor allem mit sich selbst beschäftigt. Organisatorische Fragen dominieren die Diskussionen am Stammtisch.
Wien. Es gibt mehrere Versionen davon, was vergangene Woche am Wiener Piraten-Stammtisch im „Café Wratschko“ passiert ist: Sie reichen von „Piraten haben eine Schlägerei angezettelt“ bis hin zu „Einige Leute haben die Rechnung nicht bezahlt“. Klar ist: Nachdem sie nun im „Wratschko“ unerwünscht sind, mussten die Piraten diesen Dienstagabend auf den „Tunnel“ ausweichen.
Dort treffen langjährige Parteimitglieder auf Urheberrechtsaktivisten und Studenten, die sich über etablierte Politiker ärgern. Violette Piraten-T-Shirts und neue Flyer werden verteilt. „Habt ihr schon ein Programm ausgearbeitet?“, fragt einer, der zum ersten Mal hier ist. Schmunzeln unter den alteingesessenen Piraten. „Das wird nie fertig sein“, sagt Bundesvorstand Patryk Kopaczynski. Denn über die Parteilinie wird bei den Piraten ständig neu abgestimmt. Mithilfe der Software „Liquid Feedback“ können Parteimitglieder Themen vorschlagen und darüber abstimmen. Piraten in politischen Gremien – wie etwa der Innsbrucker Gemeinderat Alexander Ofer – müssen sich nach der Entscheidung der Basis richten.
Tatsächlich wird im „Liquid Feedback“ aber noch kaum über Inhalte diskutiert, die Piraten sind zurzeit hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt. Das zeigt auch die Aufteilung der sogenannten Taskforces, der Arbeitsgruppen innerhalb der Partei. Von 23 Taskforces sind fast die Hälfte „operative“, also solche, die sich mit der Organisation der Partei beschäftigen.
Organisatorische Fragen dominieren auch die Diskussionen am Stammtisch: Soll beim „Liquid Feedback“ offen oder geheim abgestimmt werden? Was soll man mit „Offline-Piraten“ – Piraten ohne Internetanschluss – machen? Und wie sollen Piraten-Visitenkarten aussehen? Zurzeit stehen darauf keine Namen, sondern einfach nur „Pirat“.
Tirol als ewiges Streitthema
Auch die Landesorganisationen sind beim Stammtisch Thema. Die Piraten wollen in jedem Bundesland eine Organisation gründen. Dabei stehen ihnen manchmal ihre eigenen Regeln im Weg: In Klagenfurt scheiterte die Gründung daran, dass nur drei Piraten bei der ersten Sitzung anwesend waren. Laut Geschäftsordnung müssen es aber fünf sein. Im Juni soll ein zweiter Versuch gestartet werden. Dann würden im Burgenland und genau genommen auch noch in Tirol die Landesorganisationen fehlen. Denn die Tiroler Piraten wurden nach langen Streitigkeiten aus der Bundespartei ausgeschlossen. Noch vor einigen Wochen bezeichneten sich Tiroler und Wiener Piraten gegenseitig als „Pfuscher“ und „Trottel“. Diese Woche soll es aber wieder Gespräche über eine Zusammenarbeit geben.
Konfliktpotenzial hat auch die Frage nach einem Parteichef: Denn ob die Piraten einen Kapitän wie in Deutschland brauchen, darüber ist man am Stammtisch geteilter Meinung. „Wir werden nie einen Vorsitzenden haben“, sagt ein Pirat. Die Idee, dass man einen Parteichef brauche, sei nämlich konservativ. Doch laut Bundesvorstand sollen die Satzungen der steigenden Mitgliederzahl angepasst werden, was auch die Wahl eines Vorsitzenden nicht ausschließt.
Dass solche internen Debatten stets chaotisch ablaufen, sei normal, sagt der Vorarlberger Pirat Marc Fuhrken. „Das Chaos gehört zum Parteiprogramm. Wir haben Redefreiheit, wir brauchen in unseren Versammlungen ein Mindestmaß an Chaos.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2012)