...Semmelweis?

Auf dem Areal der früheren Semmelweis-Klinik sollte eine Schule für Legastheniker entstehen. Es wurde eine Musikschule.

Es war ein beherzter Kampf um ein lohnenswertes Projekt: Privatmann Thomas Köhler hatte es sich zum Ziel gesetzt, das österreichweit erste Gymnasium speziell für Legastheniker zu errichten. Diese sollten dort jene Förderung erhalten, die sie in so vielen anderen Schulen oft nicht finden. Ein Standort war rasch gefunden: die ehemalige Schwesternschule auf dem Areal der Ignaz-Semmelweis-Klinik im 18. Wiener Gemeindebezirk. Auch die Finanzierung war sichergestellt, die serbisch-orthodoxe Kirche unterstützte das Projekt. Stadtschulrat und Bezirkspolitik zeigten sich einverstanden bis begeistert.

Köhler hatte die Rechnung jedoch ohne den Eigentümer der Immobilie gemacht: die Stadt Wien. Verantwortlich für das Gebäude ist die Wiener Stadtentwicklungsgesellschaft WSE. Und diese wollte das Gebäude schlicht nicht an die engagierten Schulgründer abgeben. Die Stadt wolle auf dem Areal wohl lieber gewinnbringend Wohnungen errichten lassen, lautete lange Zeit die Vermutung.

Doch es kam noch skurriler: Anstelle des Privatgymnasiums für Legastheniker sollte schon bald eine andere Schule in das Gebäude einziehen. Und zwar die „Amadeus – International School of Music Vienna“. Eine private Eliteschule für musikalisch begabte Kinder aus aller Welt und ihre betuchten Eltern: Schulgeld und Internat belaufen sich auf 30.000 Euro jährlich.

Dass dieses Projekt prestigeträchtiger anmutet als eine Schule für Kinder mit Lern-störung, dürfte die Entscheidung der Stadtregierung nicht unmerklich beeinflusst haben. Immerhin sind auch Investoren aus den USA und Asien an Bord. Gerade in Asien – woher viele Schüler stammen werden – wird Wien stark mit Musik in Verbindung gebracht. Gut für den Tourismus. chs

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2013)

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