Schlafen lernen muss nicht wehtun

Nach der „Weinen lassen“-Schule setzt sich wieder mehr Laisser-faire durch.

Man kann jedes beliebige Magazin aus dem Dunstkreis Eltern, Kinder oder Erziehung aufschlagen, zu einem Thema wird man immer etwas finden: Schlaf. Ab wann soll ein Kind durchschlafen, wie bringt man es dazu, wie soll eine gesunde Schlafumgebung aussehen, wie gehen Mütter und Väter mit Schlafentzug um und so weiter. Auch die Ratgeberindustrie profitiert vom Grad der Zerrüttung, den manche Eltern auf Grund permanenten Schlafentzugs irgendwann erreichen. Die Bücher mit „Kind“ und „Schlaf“ im Titel sind mittlerweile Legion.

Die Antwort, die Fachleute wie der amerikanische Schlafforscher Robert Ferber bisher gaben, gerät allerdings zunehmend ins Abseits: Das „kontrollierte Weinen-Lassen“ basiert auf der Theorie, dass ein Kind schon ab dem Säuglingsalter ans Alleinschlafen gewöhnt werden sollte. Dabei steuern die Eltern den Zeitraum, wie lange sie das Kind weinen lassen, bevor sie es aus dem Bett nehmen, beruhigen und – einer der zentralen Punkte – wieder in sein eigenes Bettchen zurücklegen: zuerst nur ein paar Minuten, dann immer länger. In der Theorie zumindest gibt das Kind irgendwann auf und akzeptiert, dass Weinen beim Einschlafen nichts nützt. Außerdem lernt es gleichzeitig durchzuschlafen, weil es nicht in jeder der zahlreichen Aufwachphasen in der Nacht Mutter oder Vater braucht, um wieder einschlafen zu können.

Wer durchschläft, ist brav

Diese Theorie kam aus ideologischen Gründen gut an: Sie signalisiert, dass man Kinder nicht über Gebühr verwöhnen soll. Sie zeigt, wer in der Familie die Fäden in der Hand hat. Und sie propagiert Durchschlafen – eines der Konzepte (wie „sauber sein“), an denen die „Kompetenz“ von Kindern und Eltern gleichermaßen nach wie vor gemessen wird.

Nachdem aber zahlreiche Mütter und Väter an der Idee gescheitert sind, ihr Kind verzweifelt weinen zu lassen, hat sich der Debattenhorizont wieder erweitert. „Keine Dogmen“, lautet das jüngste Dogma. Zahlreiche Erziehungsexperten plädieren mittlerweile dafür, zumindest bei Säuglingen und Kleinkindern in Sachen Schlaf einfach das zu praktizieren, was funktioniert: im eigenen Bett, neben dem Elternbett oder im Elternbett. Das Atmen der Eltern etwa kann auf die Kinder ebenso beruhigend wirken wie das Atmen der Kinder auf die Eltern.

Wenn man aber gar keinen Weg findet, wie das Kind – und man selbst – zur Ruhe kommen kann, ist es besser, professionelle Hilfe zu suchen, als mit Ratgebern zu experimentieren – etwa bei Schlaflaboren wie dem der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde im AKH Wien. do

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2008)

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