Offenheit statt Glaubenswerbung

Wieso brauchen wir überhaupt Religionsunterricht? Und wie soll er aussehen?

WIEN. „In einer zunehmend multikulturellen Welt nimmt die Bedeutung von konfessionellem Religionsunterricht zu“, ist Matthias Scharer, Religionspädagoge an der Universität Innsbruck, überzeugt. Von Säkularisierungsvertretern werde das Gegenteil behauptet: Je neutraler der Staat, desto besser funktioniere die interkulturelle Verständigung. Ein Irrtum, meint Scharer: „Eine empirische Untersuchung hat gezeigt: Gläubige Muslime fühlen sich gläubigen Christen näher als Atheisten. Auch deshalb ist religiöse Bildung in unserer Zeit so wichtig.“

Aber nicht nur deshalb: Die Religion sei ein wesentliches Thema, das Menschen bewegt – wieso solle also gerade sie vom Schulunterricht ausgespart werden? „Natürlich müssen wir im Religionsunterricht einen weltoffenen Zugang bieten – es darf keine reine Katechese und keine Glaubenswerbung stattfinden. Gefragt ist die Auseinandersetzung: Man kann etwa in den katholischen Religionsunterricht Muslime einladen, die von ihrem Glauben erzählen.“ Den Ethikunterricht hält er nicht für eine gleichwertige Alternative. „Für jene, die nicht konfessionsgebunden sind, sollte es schon eine Alternative geben. Wenn es die Wahl gibt ,Religion oder Freistunde‘, hat es der Religionsunterricht natürlich doppelt schwer. Das Problem am Ethikunterricht: Erstens gibt es noch kein Studium dafür, die wissenschaftlichen Grundlagen fehlen. Und zweitens kann der Ethikunterricht Religionsfragen immer nur von außen behandeln – ein Nachteil in der ohnehin schon erfahrungsarmen Schulwelt.“

Andere Perspektiven bieten

Scharer selbst war lange Religionslehrer in der Oberstufe eines Gymnasiums – und hat versucht, die Schule zu einem Ort zu machen, an dem die Religion aus der Privatheit der Familie in die Öffentlichkeit geführt wird. „Am interessantesten war der Unterricht allerdings mit Jugendlichen aus kirchenfernen Familien. Aber auch jene aus einem liberalen oder aus einem atheistischen Elternhaus kommen in eine Suchbewegung hinein. Da sollte man nicht versuchen zu missionieren oder zu bekehren – aber zur Überprüfung des eigenen Standpunktes anregen. Denn gerade das ist ja auch Bildung: andere Perspektiven anzubieten, als sie das Elternhaus bieten kann.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2009)

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