Die Welt bis gestern: Unter Karl Blechas Oberbefehl

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Die Lucona-Story (2). Udo Proksch ist futsch, jetzt werden die Behörden sehr aktiv.

Weihnachten des Jahres 1987. Seit einer Woche ist das Buch „Der Fall Lucona“ auf dem Markt. Es ist die Sensation in dieser politisch stillsten Zeit des Jahres. Der Journalist Hans Pretterebner verkauft innerhalb weniger Tage die erste Auflage von 15.000 Stück. Bis Ende Jänner 1988 werden es 50.000 werden. Manche Firmen legen dieses politische Sittenbild Mitarbeitern unter den Christbaum. Der Filz zwischen maßgeblichen SP-Politikern, Justizfunktionären, Medienleuten und Advokaten, die den „Demel“-Geschäftsführer Udo Proksch in Schutz nehmen, ist noch nie so detailliert geschildert und mit Faksimiles ausstaffiert worden.

Besorgte Staatsbürger wenden sich an den parteiungebundenen Justizminister Egmont Foregger. Tenor: Unternehmen Sie bitte etwas gegen die unfassbaren Zustände, die hier beschrieben werden! Foregger, ein gemütlicher, jovialer Typ vom Typus „Sektionschef“, beruhigt die aufgebrachte Menge: Man schaue keineswegs tatenlos zu. Es seien ja sowieso schon Strafverfahren eingeleitet worden! Gegen den Buchautor.

Die „Verrätersuche“

Anfang Jänner 1988 – langsam beginnt die Bürokratie nach den Feiertagen wieder zu arbeiten – machen viele Ministerien Überstunden. Es gilt nun, die Verräter zu suchen, die dem Autor Verschlussakten des Innen-, des Justiz- und des Verteidigungsressorts zugänglich gemacht haben.

Pretterebner muss Beweise für seine kühne These beibringen, dass der schrottreife Kahn „Lucona“ 1977 im Indischen Ozean mit einer wertlosen Ladung Alteisen zwecks Versicherungsbetruges von Udo Proksch per Fernzündung versenkt wurde. Also fahndet er in Holland nach dem Kapitän Jacob Puister, der das Schiffsunglück überlebt hat und in Costa Rica lebt. Er stöbert Puisters Mutter telefonisch auf, erreicht auf diese Weise den Ex-Kapitän, schickt ihm ein Flugticket – und der Kronzeuge kommt nach Wien. Pretterebner heute: „Für mich der erste Test: Weigert er sich, hat er kein reines Gewissen.“ Aber Puister kommt. Und in Zürich geben er und der Buchautor eine internationale Pressekonferenz.

Zwar berichten die österreichischen Medien nur schaumgebremst (die „Kronen Zeitung“ ist sogar überzeugt, dass Puister nur ein Märchenerzähler sei), aber jetzt kippt doch die Stimmung in der medialen Öffentlichkeit. Als Peter Michael Lingens im Februar1988 eine Anklageerhebung „gegen Udo Proksch und Genossen“ verlangt, wird die Sache für die SPÖ eng. Oberstaatsanwalt Schneider sorgt aber dafür, dass gegen Proksch und seinen Kompagnon Hans Peter Daimler auch im Falle einer Voruntersuchung nicht wieder die U-Haft verhängt wird. 1986 hatte man Proksch schon einmal kurz in Haft, doch mit gefälschtem Material aus Rumänien, das Außenminister Leopold Gratz herbeizuschaffen half, ging er frei.

So hat der „Demel“-Chef Zeit, seine Dinge in Wien zu ordnen, er verabschiedet sich von den engsten Freunden und der Mutter eines seiner Kinder, der Rechtsanwältin Monika Pitzelberger, die klugerweise Rechtsanwältin ist. Sie meldet dem U-Richter, dass ihr Klient nach Japan verreise werde und leider nicht mehr zur Verfügung stehe.

Über London verlässt Proksch Good Old Europe – in Tokio langt er nie ein. In Manila schnipseln Chirurgen an seinem Gesicht, er empfängt „Krone“-Reporter Michael Jeannée in seinem Hotel. Jeder weiß, wo er ist.

Jetzt, da Proksch endlich außer Landes ist, rafft sich die heimische Polizeimaschinerie unter dem Oberbefehl des Innenministers Karl Blecha zu Höchstleistungen auf. Ein internationaler Haftbefehl wird ausgestellt – elf Jahre nach Untergang des Schiffes. Udo wird natürlich nicht geschnappt.

Die Staatspolizei – höchst aktiv

Weil hierzulande wenig zu tun bleibt, heftet sich die Staatspolizei umso vehementer an die Fersen des fürwitzigen Buchautors Pretterebner. Über jeden öffentlichen Vortrag des Journalisten – und das sind hunderte im ganzen Land – wird ein Tonbandprotokoll angelegt und dem Büro des Innenministers vorgelegt. Einmal – im lieblichen Seeboden – muss der Beamte bei einem Hausmeister ein Aufnahmegerät requirieren, weil das ärarische Tonbandgerät den Geist aufgegeben hat. Die Protokolle über die ungeheuerlichen Auftritte Pretterebners werden vom Minister feinsäuberlich mit „Bl“ parafiert.

Nach den Landtagswahlen in Niederösterreich – Jörg Haiders FPÖ räumt wieder einmal Mandate ab – sieht der sonst so abgeklärte SPÖ-Kanzler Vranitzky „Handlungsbedarf“. Bisher wollten nur FP und Grüne einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss – jetzt zieht die SPÖ mit. Sinn und Zweck, so Nationalratspräsident Gratz: „Er wird die Verleumdungen eines notorischen Lügners als solche entlarven.“

So kann man sich täuschen. Ab 11.November1988 soll der U-Ausschuss tagen. Im Vorfeld ein Eklat: Freda Meissner-Blau, die Pionierin der Grünen, legt am Vortag völlig überraschend alle ihre Ämter nieder. Ohne Begründung. Sie gehörte früher der SPÖ an. Wenige Tage später verlässt auch Staatsanwalt Walter Geyer den grünen Klub. Die Causa Proksch hat ihre ersten politischen Opfer gefordert. Es werden noch mehr.

Nächsten Samstag:Der Lucona-Ausschuss, Blechas Rücktritt, Pretterebners Zusammenbruch.

DER SKANDAL: Ein Buch

Vor zwanzig Jahren, am 16.Dezember 1987, erschien das Skandalbuch „Der Fall Lucona“. Der Journalist Hans Pretterebner zeichnete darin detailliert den Versuch eines gigantischen Versicherungsbetrugs nach: Das von Udo Proksch und Hans Peter Daimler gecharterte Frachtschiff „Lucona“ war am 23.Jänner1977 im Indischen Ozean gesunken. Mit ihm die angeblich millionenschwere „Uranerz-Aufbereitungsanlage“, die in Wahrheit umlackierter Schrott aus Niederösterreich war.

Udo Proksch, alias Serge Kirchhofer, geb. 1934, war in den Sechzigerjahren Designer von Schmuck- und Brillenmodellen (für Viennaline, Carrera, Porsche Design).

Er liebteMilitärgerät jeder Art und die „Aristos“. Der „Hofnarr von Wien“ war die schillerndste Figur seiner Zeit. In der Konditorei „Demel“ unterhielt er den „Club 45“ für die neue SPÖ-Schickeria.

Polit-Skandal. Der Untergang der „Lucona“ führte zum Rücktritt von Nationalratspräsident Gratz und Innenminister Blecha. Gratz war mit Proksch befreundet, Blechas Verhalten gibt Spekulationen weiten Raum. Proksch konnte nach Asien flüchten und wurde erst im Oktober 1989 verhaftet. Zu lebenslanger Haft verurteilt, starb er 2001 bei einer missglückten Herzoperation. hws

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2007)

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