Nationalratswahl: Die Große Koalition, der ungeliebte Klassiker

Veraltet und überholt? Trotz Unmut über die SPÖ-ÖVP-Regierung bevorzugen die Österreicher diese Koalitionsvariante.
Veraltet und überholt? Trotz Unmut über die SPÖ-ÖVP-Regierung bevorzugen die Österreicher diese Koalitionsvariante.(c) Michaela Bruckberger
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Hat sich eine Regierung aus SPÖ und ÖVP überlebt, wie der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer meint? Die Österreicher sind zwar unzufrieden mit Rot-Schwarz. In andere Regierungsvarianten setzen sie allerdings noch weniger Hoffnung.

Wien. „Die Große Koalition hat sich überlebt.“ Und: „Warum gehen wir nicht mit den Grünen zusammen?“ Durch sein Liebäugeln mit Schwarz-Grün auf Bundesebene erregte Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) trotz des am Dienstagabend parallel laufenden Kanzler-Duells zwischen Kanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger viel Aufmerksamkeit.

Haslauers Avancen in Richtung Grüne wenige Tage vor der Nationalratswahl sind freilich schon deshalb eine Fleißaufgabe, weil eine schwarz-grüne Koalition allein in der Realität weit von jeder Mehrheit im Parlament entfernt ist. Deswegen überlegte er auch laut, in diesem Fall eine „kleinere Partei dazuzunehmen“. In Salzburg regiert Haslauer selbst nicht nur mit den Grünen, sondern auch mit dem Team Stronach.

Allerdings unterlief Haslauer damit die Wahlkampflinie von ÖVP-Spitzenkandidat Spindelegger. Denn dieser wird nicht müde, vor den Grünen und deren „Bevormundung“ und vor allem vor Rot-Grün zu warnen. Zugleich hat der ÖVP-Bundesobmann aus seiner Abneigung gegen eine Dreierkoalition bisher kein Hehl gemacht.

Vorbehalte gegen „linke“ Grüne in Wien

Allerdings differenziert Spindelegger, der die Grünen in Ostösterreich, insbesondere in Wien und auf Bundesebene, ideologisch als deutlich weiter links stehend begreift, als ihre Parteifreunde im Westen Österreichs. Damit versucht der ÖVP-Obmann auch, einen Widerspruch aufzuklären. Denn von Oberösterreich (sogar seit 2003) über Salzburg und Tirol bis nach Kärnten sitzen ÖVP und Grüne im Landesregierungsboot.

Mit seiner Abkehr von der Großen Koalition, die seit der Wahl 2008 mit rund 55 Prozent gar nicht mehr so groß ist, greift der Salzburger Landeshauptmann jedoch nur die latente Unzufriedenheit mit der Arbeit der amtierenden SPÖ-ÖVP-Regierung auf. Denn laut Umfragen ist nur eine Minderheit mit dem Schaffen des von Faymann und Spindelegger geführten Kabinetts zufrieden.

Die Liebe der Österreicher zu Rot-Schwarz, das vor rund zwei Jahrzehnten zusammen noch 80 bis 90 Prozent der Wähler hinter sich vereinen konnte, droht weiter zu erkalten. Manchen hängt diese wegen häufiger Blockaden einerseits und Packelei anderseits längst zum Hals heraus. Dennoch ist die Große Koalition nach wie vor jene Regierungsvariante mit der meisten Zustimmung.

Vorlieben: Große Koalition vor Rot-Grün

33 Prozent der Österreicher wünschen sich, dass SPÖ und ÖVP nach der Wahl am kommenden Sonntag wieder gemeinsam regieren, wie eine aktuelle Spectra-Umfrage für die Bundesländerzeitungen zeigt. Das ist ein ziemlich schlechter Wert, wiewohl die Große Koalition damit noch immer einsam an der Spitze liegt. Für Rot-Grün sprachen sich nämlich nur 19 Prozent aus. Alle anderen Regierungsvarianten folgen erst weit abgeschlagen im einstelligen Prozentbereich, darunter auch Schwarz-Grün mit sieben Prozent Befürwortern.

Offenbar wird eine gemeinsame Regierung von SPÖ und ÖVP von den Österreichern als kleineres Übel betrachtet. Das zeigt auch eine Untersuchung des Imas-Instituts vom August/September (1000 Befragte über 16 Jahre): 44 Prozent der Bevölkerung trauen keiner Partei zu, „die Probleme, die für sie wichtig sind, zu lösen“. Imas-Geschäftsführer Paul Eiselsberg analysiert daher im Gespräch mit der „Presse“: „Den Heilsbringer oder den Wendepunkt, den sieht man nicht. Auch wenn man mit dem Status quo unzufrieden ist, traut man es auch den anderen Parteien nicht zu.“

Die relativ gesehen noch größte Zustimmung zur Großen Koalition dürfte auch damit zusammenhängen, dass Österreich im internationalen Vergleich relativ gut dasteht. Gemessen an sozialen Einschnitten und Reformen in anderen EU-Staaten fielen die Maßnahmen zur Budgetsanierung moderat aus. Große Proteste blieben aus.

Eine Mehrheit von 53 Prozent rechnet deswegen auch damit, dass es nach der Wahl so weitergeht. Das wiederum hängt mit der Abneigung vieler Österreicher gegen große Veränderungen zusammen. SPÖ und ÖVP sind so gesehen, bei allem Ärger über ständige Reibereien im Regierungsalltag, berechenbarer. Ruhe und Ordnung in Österreich werden generell geschätzt.

Ähnliche Anliegen der Anhänger

Hinzu kommt, dass zumindest auch in der erweiterten Anhängerschaft der beiden Regierungsparteien die Erwartungshaltungen bei den wichtigsten Anliegen (Altersversorgung, soziales Verständnis, wirtschaftliches Verständnis, Sparsamkeit mit Steuermitteln, Familienförderung) grundsätzlich am ähnlichsten sind. Nach einer Imas-Studie liegt die Distanz/Abweichung bei einem Wert von 58. Zum Vergleich: Zwischen Sympathisanten der Grünen (für die etwa Bildung und Umweltschutz wichtig sind) und der SPÖ liegt der Wert bei 141, ÖVP- und Grün-Anhänger liegen mit 156 noch weiter auseinander. Am größten ist die Kluft zwischen Grünen und Team Stronach (mit 187).

Ein anderer Grund für die relativ starke Sympathie für eine Große Koalition ist, dass Rot und Schwarz über die Regierungstätigkeit die ausschlaggebende Rolle bei den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen einnehmen. Die Existenz der von SPÖ und ÖVP dominierten Sozialpartner galt über Jahrzehnte als Mitgrund für die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg. Deren Kompromisse ohne Demonstrationen auf der Straße werden von Wählern offenen Auseinandersetzungen wie in anderen Ländern vorgezogen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2013)

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