Geiselnahme von Marchegg: Mitwisser und Ahnungslose

Der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky im Gespräch mit den Piloten, die die Geiseln ausflogen.
Der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky im Gespräch mit den Piloten, die die Geiseln ausflogen. (c) Votava / Imagno / picturedesk.co (Votava)
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Am 28. September 1973 entfaltete sich der Nahostkonflikt im beschaulichen Weinviertel. Palästinenser entführten jüdische Emigranten aus der Sowjetunion. Doch was hat das mit dem Jom-Kippur-Krieg zu tun?

Israel steht am Abgrund der Vernichtung. Am 6. Oktober 1973 greifen die Armeen Ägyptens und Syriens gleichzeitig am Suez-Kanal und auf den Golan-Höhen an – und das ganz bewusst am Jom-Kippur-Tag, dem höchsten jüdischen Feiertag. Es folgen 19 Tage voller heftiger und verlustreicher Kämpfe. Am Ende ist das verlorene Territorium zurückerobert, aber der Krieg bleibt ein nationales Trauma. Seither steht vor allem eine Frage im Mittelpunkt: Warum haben ausgerechnet die legendären israelischen Geheimdienste den verheerenden Überraschungsangriff nicht kommen sehen? Um die Frage zu beantworten, muss man den Blick auf ein Ereignis lenken, das sich acht Tage zuvor abgespielt hat – und zwar ausgerechnet im niederösterreichischen Marchegg.

Es ist der 28. September 1973, gegen 11 Uhr fährt der Zug 2590 aus Bratislava kommend ein. Der Zöllner Franz Bobits macht sich daran, die WC-Anlagen zu kontrollieren. Da sieht er sich plötzlich zwei arabischen Terroristen – Mustapha Soueidan (25) und Mahmoud Khaidi (27) – gegenüber. Bobits wird rasch überwältigt. Das schwer bewaffnete Duo hatte zuvor im Zug Geiseln genommen: ein älteres Ehepaar und die dreiköpfige Familie Czaplik. Es sind jüdische Auswanderer aus der Sowjetunion, die nach Israel wollen. Genau diese Emigration ist den arabischen Terrorgruppen ein Dorn im Auge. Für sie ist es eine demografische Stärkung Israels, die unterbunden werden muss. Österreich wiederum gerät ins Fadenkreuz, weil es nach dem Willen der Sowjets die Durchgangsstation für die Emigranten ist.

Quälend lange Pattsituation.
Mit dem Nahostkonflikt, der sich da im Weinviertel entfaltet, sind die Behörden von Anfang an überfordert. Frau Czaplik nimmt ihren Mut zusammen und läuft mit dem kleinen Sohn auf dem Arm einfach davon. Ihr 26-jähriger Ehemann, die 70-jährige Elka Litvak, der 71-jährige Mosche Litvak sowie der Zöllner Bobits verbleiben in der Gewalt der Geiselnehmer. Obwohl die Order lautet, die Terroristen festzuhalten, fahren diese samt Geiseln in einem VW-Pritschenwagen davon. Auf Anweisung wird der Eisenbahnübergang in Fischamend geschlossen. Doch in diesem Moment ist der VW bereits vorbei – Pech für die nachfolgenden Gendarmeriefahrzeuge.

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