1938: Antiklerikaler Oktober, antisemitischer November

Tora-Krone, geborgen aus dem im November 1938 zerstörten Währinger Tempel. Ein Bild aus dem Jüdischen Museum Wien.
Tora-Krone, geborgen aus dem im November 1938 zerstörten Währinger Tempel. Ein Bild aus dem Jüdischen Museum Wien.(c) Wolfgang Freitag
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Auf den antiklerikalen Oktober im Wien des Jahres 1938 folgte ein antisemitischer November, das ungleich stärkere Beben des Novemberpogroms. Hingen die Exzesse zusammen? Wie standen Katholiken der 1930er-Jahre zum Judentum? Eine Nachforschung.

Dass „Mögest Du in interessanten Zeiten leben!“ ein chinesischer Fluch sei, wird von Sinologen bezweifelt. Unbestritten ist, dass die Generation unserer (Groß-)Eltern verflucht „interessante Zeiten“ erlebte: zwei Weltkriege, vier Systemwechsel, politische Wirren und Not. Für Wien ragt aus den „interessanten“ Zeitspannen der Herbst 1938 heraus. Ganze Platten destruktiver Kräfte schoben sich damals übereinander und lösten mehrere Beben aus. Ihr Auftakt war ein weiterer Triumph Hitlers, der Anfang Oktober ins deutsch geprägte Sudetenland einrückte. Österreichs Kirchen feierten den neuen „Anschluss“ mit Glockengeläut und Dankgebeten. Viele Pastoren, Priester und Klosterleute einschließlich des Wiener Erzbischofs Theodor Innitzer (im Amt 1932 bis 1955) stammten von dort.

Nur eine Woche später, am 7. Oktober, entrissen Tausende Wiener Jugendliche nach einer Feier im Stephansdom dem NS-Regime noch einmal das Straßenmonopol und verhöhnten es mit Huldigungen Innitzers (unter anderem „Ein Volk, ein Reich, ein Bischof“). Am Tag darauf verwüsteten Halbstarke der Hitlerjugend das Bischofspalais in der Wollzeile und suchten Priester aus dem Fenster zu werfen, was ihnen in einem Fall gelang. Es waren genug Söhne aus gutem Hause dabei, die vom Gymnasium her die antikatholischen Prager Fensterstürze von 1418 und 1618 kannten. Am 13. Oktober fand auf dem Heldenplatz die vielleicht größte je organisierte „Antiklerikale Versammlung“ statt (kolportierte 200.000 Teilnehmer!). Redner und Transparente sprachen Klartext („Pfaffen an den Galgen“). Der Pfaffenhass hatte vielen „Roten“ eine Brücke zu den „Braunen“ gebaut. Nun konnten sie endlich den „Schwarzen“ alles Elend nach 1918, vor allem aber die verhasste „Systemzeit“ heimzahlen, was die biegsame Haltung der Bischöfe im März vereitelt hatte. Einzigartige Vorgänge im „Großdeutschen Reich“!

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